Der Campingplatz Maremma Sans Souci wurde schon in den 60er Jahren gegründet. Und das merkt man ihm auch an: Die Duschen und Klos sind etwas altertümlich, die Kastenwagen- und Hängemattendichte ist hoch. Ein leicht alternatives Flair umweht den großen Platz in einem Pinienwald. Schön ist, dass jeder Stellplatz seine eigene kleine Lichtung hat. Krumme Wege und Pfade führen durch dieses Wäldchen, das Ende Oktober die letzten Travel-Mohikaner beherbergt: Am 31.10. macht der Platz zu und geht in Winterpause, es sind die letzten Tage.
Auch schön: Man steht quasi 100 Meter Luftlinie vom schönen, langen Strand entfernt, mit Blick auf die Insel Elba. Morgens der erste Hundespaziergang: barfuß im weichen, goldgelben Sand.
Danach ein paar Stunden arbeiten, mittags wieder ans Meer, Bikiniwetter, Vanlife wie bei Insta, inklusive spektakulärer Sonnenuntergang .
Nachts rauschen die Wellen mich in den Schlaf. Das von den Einbrechern (mögen sie in der Hölle schmoren) zerstörte Fenster klebe ich notdürftig mit Panzertape. Eine Woche Lieferzeit, hatte Alessandro angekündigt, mindestens. Doch nach einer Woche ist das neue Fenster noch nicht in Sicht: Vor dem 3. November sei es nicht lieferbar, so die traurige Nachrichte des Teile-Händlers in Norditalien.
Das ist jetzt blöd, denn nicht nur schließt der Campingplatz Ende Oktober, mittlerweile hat die zweite Corona-Welle auch Italien erfasst. Viel früher, als ich dachte. Die Zahl der Neuinfektionen steigt rasant, aus Deutschland rät die besorgte Familie zur Rückkehr. Sicher: Sollte ich mich infizieren und einen schweren Verlauf durchmachen, möchte ich lieber im eigenen Land auf der Intensivstation landen, als einem Italiener das Beatmungsgerät weg zu nehmen.
Aber: Die zweite Welle hat auch Deutschland voll erfasst. Und ein deutscher Schmuddelwinter im Kastenwagen? Igitt. In Süditalien dagegen kann ich fast den ganzen Tag draußen sein, an der frischen Luft, was das Infektionsrisiko mindert. Doch falls ich mich dennoch anstecke – was wird dann aus dem Hund und aus dem Van? Ich bin hin und her gerissen.
Fahr doch mit uns, wir kümmern uns im Fall der Fälle, sagen Tereza und Danny. Die beiden stehen schon seit einigen Wochen hier und brechen nun auf nach Süden. Das gibt den Ausschlag: Aus der ursprünglich geplanten Überwinterung auf Sizilien wird eh nichts. In der Pandemie will ich nicht auf eine Fährverbindung angewiesen sein: Wenn die wegen eines Lockdowns ausgesetzt wird, stecke ich fest. Also Apulien. Tereza hat im Internet einen Campingplatz aufgetan, der ganzjährig geöffnet hat: La Masseria bei Gallipoli. Da wollen sie hin. Die beiden fahren zwei Tage eher los, ich folge ihnen am 31. Oktober.
Alessandro verspricht, mir das schon bezahlte Fenster in den Süden hinterher zu schicken, sobald es in seiner Camper-Werkstatt in Grossetto ankommt. Länger warten will ich nicht. Gib Gas! Hat Karin aus der Lombardei mich gewarnt: Präsident Conte guckt sich die Corona-Zahlen nicht mehr lange an, es droh ein neuer Lockdown. Und dann darf man die Provinzgrenzen nicht mehr überschreiten.
Um dem Verkehrschaos rund um Rom nicht mal annähernd nahe zu kommen, biege ich bei Montalto di Castro ab in die Berge. Über Tuscania, an Viterbo vorbei, geht es immer weiter nach Osten. Hinter Terni wird es waldig und bergig: Die Abruzzen sind Teil des Appenin. Ende Oktober haben sich die hiesigen Laubwälder verfärbt: Leuchtend gelb und glühend rot, wie Herbst-Fackeln, haben sie die Berghänge in einen Farbenbrand gesetzt: wunderschön.
Wären da nur nicht diese grauslichen Hochstraßen auf Stelzen: Sie überqueren tiefe Täler und sind sicher Wunderwerke der Ingenieurskunst. Doch für Leitplanken war offensichtlich kein Budget mehr übrig: Die lächerlichen Plänklein sind kaum kniehoch, vom hohen Fahrerinnensitz des Vans kaum auszumachen. Und gleich daneben gähnt der Abgrund, mit feuchten Händen umklammere ich das Lenkrad, es zieht es im Magen. Dazu warnen Schilder an diesen Brücken vor Seitenwind. Und der sechs Meter lange Kastenwagen ist sehr seitenwindanfällig. Oh Dio, Dio, Dio – zu Hülf!
Tereza und Danny waren vor zwei Tagen in dem winzigen Bergdorf Anversa degli Abruzzi auf einem wahnsinnig schön gelegenen Stellplatz an einem Naturschutzgebiet. Nach stundenlanger, anstrengender Fahrt bin ich total kaputt und stelle mich der Einfachheit halber auch dort hin. Der Platz ist wirklich ein Traum, das Dörfchen idyllisch gelegen, hätte ich es nicht eilig, würde ich sicher ein paar Tage bleiben.
So aber fahre ich nach einem Spaziergang am nächsten Morgen gleich weiter, um nach Apulien zu kommen, bevor die Provinz-Grenzen dicht gemacht werden. Auf die Autobahn Richtung Pescara, raus aus den Abruzzen, zurück an die Adria-Küste und dann mit Bleifuß die Küstenautobahn runter nach Süden. An Pescara und Termoli vorbei, das Meer glitzert hellblau zur Linken, Palmen statt Pinien: Gegen Mittag rausche ich kurz vorm Gargano über die Grenze und bin in Apulien: Geschafft!
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