07. Januar 2020, im unbekannten Südwesten Deutschlands….
Navis sind ja extrem praktisch, keine Frage. Aber wenn man sich nur auf sie verlässt und vorher in keine Karte guckt, fährt man plötzlich Richtung Kaiserslautern – und hat in meinem Fall keine Ahnung, wo das eigentlich ist. Ich war unterwegs nach Saarbrücken, als das Navi den Grauwal plötzlich über Kaiserslautern schickte. Von der Existenz dieser Stadt hatte ich natürlich schon gehört, aber wo genau sie liegt? Keine Ahnung. In dem Moment bestätigte sich, dass Deutschlands Süden für mich Terra incognita ist: In der Geographie Kasachstans oder Mozambiks kenne ich mich besser aus, als in Rheinland-Pfalz oder im Saarland. Das muss sich ändern.
Hinten im Wassertank und in den Leitungen und auch im Abwassertank schwabbte es: Nach dem Aufdecken von Dieselgate hatte ich meinen Händler angerufen, der sich bereit erklärte, eine Tank-Reinigung mit einer Speziallösung zu übernehmen, nicht aber den mehrere tausend Euro teuren Austausch des Wassersystems. An diesem Morgen war das Gebräu, ein Tensid, das die Dieselrückstände neutralisieren soll, per Express in der Friedberger Werkstatt eingetroffen. Man muss es mit Wasser mischen, dann lange einwirken lassen, dann den Tank mit Frischwasser spülen, das Ganze drei Mal. Das könne ich auch auf der Weiterfahrt nach Süden machen, sagte der Werkstattchef, der von der Methode ohnehin nicht überzeugt war, dafür bräuchte ich keinen Mechaniker.
Nun war ich also unterwegs Richtung Kaiserslautern. Neben der Autobahn standen merkwürdige Gebilde –Weinreben oder Hopfenstangen, ich wusste es nicht, war weit weg von Brandenburg. Autobahnschilder zeigten statt Warschau Paris an, die Saarland-Therme, auf deren weitläufigem, neuen Stellplatz ich übernachtete, war zu 90 Prozent von Franzosen bevölkert. Nur noch zehn Stunden bis Bordeaux. Da dachte ich noch, ich könnte nach Frankreich weiterfahren und dann nach Huelva in Andalusien. Von dort ging am 18. Januar die Fähre nach Teneriffa.
Um den Diesel-Schock und den ganzen Spül-Stress zu verdauen, schwitzte ich in der schicken Saarland-Therme, umgeben von Franzosen, deren Eltern oder Großeltern aus Nordafrika in diese Montanregion gekommen sind, wie die türkischen „Gast“arbeiter ins deutsche Ruhrgebiet. Von einem neuen Virus, das bald ganz Europa lahmlegen sollte, war Anfang Januar noch keine Rede. Auf dem Dach der Therme dampfend hatte ich einen guten Blick auf den Wohnmobil-Stellplatz unten (dessen Angestellte übrigens extrem freundlich und hilfsbereit ist: Einen mir fehlenden Wasserhahnadapter schenkte sie mir kurzerhand, Camper-Solidarität die Zweite). „Libertus“ Lack in dunkelgrau zu wählen, obwohl es andere schöne Farben gibt, bewährte sich: Drei weitere, weiße Wohnmobile leuchteten unter Laternen durch die nebeldunstige Dunkelheit, meinen Van aber sah man nicht, er verschmolz gut getarnt mit seiner Umgebung.
Am nächsten Tag recherchierte ich noch auf dem Stellplatz erst einmal am Telefon und im Internet die Erfolgsaussichten der Spülmethode. Diverse Experten äußerten sich skeptisch, da Dieseltreibstoff durch Oberflächen hindurch diffundiere und nach und nach die Dichtungen zerstören werde. Da helfe nur der Austausch des gesamten Wassersystems. Ohweh.
Ich spülte aber trotzdem weiter und startete mit der zweiten Mischung im Tank, um etwas für die Bildung zu tun: Auf zur Völklinger Hütte, Kulturerbe der Menschheit. Ein beeindruckendes Monument der Montanindustrie: Ein 1873 gegründetes ehemaliges Eisenwerk, 1986 stillgelegt. Riesig, düster, furchteinflößend, ein schlafender Drache aus rostigem Stahl. Unvorstellbar die Arbeitsbedingungen, die an den sechs Hochöfen und in der Kokerei geherrscht haben: 1.400 Grad, und lange gab es nicht einmal Schutzkleidung für die Arbeiter.
Für mich ist der Eindruck besonders bewegend, weil mein Großvater Bergmann im Ruhrgebiet war und noch mein Vater, wenn auch kurz, als junger Mann an einem Hochofen malocht hat. An die während der NS-Zeit (AfD-Gauland: „Vogelschiss“) hier ermordeten Zwangsarbeiter wird eindrücklich erinnert, in Form eines mannshohen Lumpenhaufens, aufgetürmt am Ende eines engen Ganges, links und rechts Stahl-Spinde, eine Frauenstimme vom Band verliest die Namen der Opfer.
Die Ausstellung zur Gesamt-Geschichte der Völklinger Hütte ist allerdings verwirrend unorganisiert, der Kilometer lange Rundgang kaum zu finden. Ohne die Aufpasser, die Verirrten und Verwirrten den Weg weisen, würde ich jetzt noch durch die gigantischen Hallen und Hochöfen irren.
So kam ich nachmittags wieder am Stellplatz für Wohnmobile an, der auf dem riesigen Parkareal der Völklinger Hütte kostenlos sechs Plätze in merkwürdigen Eisendrahtkäfigen bietet.
Wenig lauschig, zum Glück musste ich dort nicht übernachten, sondern konnte zum Saarländischen Rundfunk fahren. Kollegin Tonia, die seit Jahrzehnten hier Korrespondentin des Deutschlandradios ist, hatte eingefädelt, dass ich „Libertu“ dort auf dem Parkplatz abstellen kann.
Vorher spülte ich aber noch einmal den Tank. Dazu musste ich in dem fies stinkenden Entsorgungshäuschen meinen funkelnagelneuen Frischwasserschlauch gleich neben dem Schacht anschrauben, in dem andere Wohnmobilisten ihre Chemietoilette leeren: Igitt. Nicht schön auch der schmierige Dreckfilm auf dem Fußboden, in dem der Schlauch zu liegen kam, schüttel. Dann lieber eine Gebühr für den Stellplatz nehmen und ab und zu mal saubermachen.
Der Saarländische Rundfunk residiert auf einem bewaldeten Hügel mitten in Saarbrücken. Tonia kam mich mit ihrem kleinen Auto abholen, der Hund mit seinen nassen und schmutzigen Pfoten sprang auf die Rückbank, ich stieg als schlampige Camperin ein: Eine Papiertüte mit frischer Wäsche und den Kulturbeutel umklammernd, denn die gute Kollegin hatte mir eine heiße Dusche angeboten.
Das war soooo herrlich, nach dieser fiesen Güllestation! Als Camperin lernt man hier zu Lande scheinbar Selbstverständliches wie eine heiße Dusche schnell als Luxus zu schätzen. Wieder wurde ich herrlichst bewirtet, wir quatschten noch lange über das Saarland und seine Geschichte, um kurz vor Mitternacht wurde ich im Gästezimmer einquartiert. Hilfsbereitschaft allerorten: Das war das wirklich sehr Schöne am Diesel-Schock. Der sich am nächsten Morgen fortsetzen sollte.
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