Ich kann sehen, dass die großen Seen Norditaliens schön sind, eine zauberhafte Idylle, die auch aus dem Kontrast mit den schroffen Alpenwänden erwächst, in denen sie eingebettet liegen, wie Edelsteine in einer Schmuckfassung. Und doch bin ich erleichtert, die Alpen hinter mir zu lassen und auf dem Weg von Codogno nach Mantua wieder weit um mich blicken zu können durch „Libertus“ riesige Frontscheibe. Die Berge sind nicht meine Welt. Ich weiß, dass viele Menschen es lieben, Gipfel zu erklimmen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich mag es nicht, wenn der Blick nicht bis zum Horizont frei schweifen kann, sondern sich ständig an grauen Granitwänden stößt.
Und so stoße ich froh in die Po-Ebene vor. Italiens mächtiger Strom fließt etwas weiter südlich, mäandert gemächlich durchs Land auf seinem Weg zur Adria. Ich fahre parallel zum Po und fühle mich im flachen Land, als sei eine Last von mir genommen. Merkwürdig, vielleicht haben die Jahre im ebenso flachen Brandenburg mich geprägt. An Cremona vorbei, wo Roberta Magri in einer Marketingagentur jobbt, weil sie vom Schreiben nicht leben kann, geht es nach Osten.
Ich will nach Venedig, denn wann, wenn nicht in diesem Seuchen-Jahr kann man diese mythische, doch von Heerscharen von Touristen überrannte Lagunen-Stadt besuchen? Und beim Blick auf Google-Maps zeigt sich, dass Mantua genau auf halbem Wege liegt. Mantua – war da nicht irgendetwas mit Shakespeare? Es ist schon Nachmittag, als ich in Codogno losfahre, gut anderthalb Stunden später komme ich in Mantua an. Ich kurve eine Weile am Rand der Altstadt herum, finde den Parkplatz des Palazzo del Te erst im dritten Anlauf.
Der Palast ist von Grünanlagen und Sportplätzen umgeben, der kostenlose große Parkplatz unter Bäumen ist halb leer, ich finde ein Plätzchen gleich neben einer Hecke. Meine Nachbarn sind junge Camper aus Frankreich mit einem Kleinkind. Keiner von uns stellt Campingmöbel raus, keiner hinterlässt Abfall, ich fahre nicht einmal die Trittstufe aus. So stören wir wohl niemanden, denn die Spaziergänger, die aus den Grünanlagen kommen und am Van vorbei zu ihren Autos laufen, grüßen allesamt freundlich. Also bleibe ich da stehen.
Noch ein kleiner Abendspaziergang mit dem Hund ums Karree, dann vertiefe ich mich in die Internetlektüre der Geschichte der Stadt, die ich morgen anschauen will. Siehe da: Tatsächlich, Shakespeare, Romeo und Julia, spielt im 50 Kilometer weiter nördlich gelegenen Verona. Romeo flieht nach Mantua, nachdem er Julias Cousin Tybalt im Streit getötet hat. Vergil wurde hier in der Nähe geboren und Verdis Oper Rigoletto spielt in Mantua. Sieh mal an.
Wie Bergamo ist auch Mantua uralt: Eine etruskische Gründung, seit 1328 von der Adelsfamilie der Gonzaga beherrscht, zeitweilig eine der bedeutendsten Fürstendynastien Italiens. Isabella d’Este war im 16. Jahrhundert Markgräfin von Mantua: Eine mächtige Mäzenin und reiche Kunstsammlerin, eine der einflussreichsten Frauen der italienischen Renaissance. Ich habe noch nie von ihr gehört: Reisen bildet.
Trotzdem muss ich am nächsten Morgen erst einmal eine Lavanderia a gettoni finden: Einen öffentlichen Waschsalon. Die gibt es dankenswerter Weise in jedem noch so kleinen Örtchen in Italien. Sehr camperfreundlich, genauso wie die Ver- und Entsorgungsstationen an den großen Tankstellen, wo man sein Grauwasser loswerden und frisches Nass zapfen kann.
Die Lavanderia ist dank Digitalisierung schnell gefunden. Ich schleppe den schweren Wäschesack durch die schon warme Morgensonne und freue mich, im Waschsalon eine fröhliche Angestellte vorzufinden, die mir hilft, gleich zwei der großen Maschinen in Gang zu setzen (erwähnte, ich, dass ich mit Automaten aller Art auf Kriegsfuß stehe? Ich mag sie nicht und sie mögen mich nicht.). Sie verspricht, die fertige Wäsche auch gleich in den Trockner zu stecken, und so kann ich zu meinem Gang durch die Altstadt aufbrechen.
Ein Café und ein dolce (Teilchen, Mürbeteig) an einer Bar, ein Rundgang über den wohlsortierten, appetitlichen Wochenmarkt (frische Pasta!), vorbei an verlockenden Wurstgeschäften im Erdgeschoss von Pallazi mit prächtigen Fassaden, quer über die große Piazza Sordella, an der Dom und Dogenpalast liegen.
Mjamm…
Ein fast normaler Stadtbummel, wie damals, bevor das Virus uns ereilte. Es ist nicht zu voll in den mittelalterlichen Straßen Mantuas, man kann gut Abstand halten und alle tragen Maske. Ein kleines Literaturfestival scheint hier stattzufinden: Malerische Innenhöfe stehen offen.
Müsste ich nicht zu meiner Wäsche zurück, weil Samstag ist und die Lavanderia mittags schließt, könnte ich mich noch Stunden lang durch die Straßen dieses in der goldenen Herbstsonne schimmernden Kleinods treiben lassen.
Zwei Nächte verbringe ich vor den Toren des Palazzo del Te: Einem Lustschloss, das Federico II. Gonzaga, Markgraf von Mantua, Sohn der bereits erwähnten Isabella d’Este, 1524 vor der damaligen Stadtmauer hat bauen lassen. Das Kunst-Museum darin ist leider wegen Corona geschlossen, doch durch die Wiesen ringsum kann man morgens schön mit dem Hund spazieren gehen. Mantua: Eine wunderbare Zufallsentdeckung auf dem Weg nach Venedig.
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