Mitte Mai ist der Frühling endlich da, ich bin in Friesland und habe Lust auf laaange Strandspaziergänge. Die kann man in Niedersachsen nur auf den ostfriesischen Inseln machen: Das Festlandküste ist vom schlickigen Wattenmeer und Deichen geprägt, Strände gibt es nur in Gestalt kleiner, aufgeschütteter Areale, auf die man ein paar Strandkörbe abstellen kann. Also auf nach Noord Holland, das ist nicht weit und dort ist die Landschaft eine ganz andere: Von Den Helder bis Castricum erstreckt sich an der niederländischen Nordwestküste ein viele Kilometer langer durchgehender Sandstrand, geschützt von einem Dünengürtel. Zurück soll es dann entlang des IJsellmeeres gehen.
Hin fahre ich über den Afsluitdijk, den Abschlussdeich: Der große Stolz der Niederländer und angeblich das einzige Menschen gemachte Bauwerk neben der Chinesischen Mauer, das vom All aus zu sehen ist.

Fünf Jahre lang hatte ein Heer von Arbeitern und Wasserbauingenieuren an einem der beeindruckendsten Wasserbauprojekte Europas gebaut: Dieser 32 Kilometer lange Damm trennt seit 1932 das IJsselmeer (früher Zuiderzee) von der Nordsee und schützt große Teile der Niederlande vor Überschwemmungen. Gleichzeitig verbindet er die Provinzen Noord-Holland und Friesland (wegen der das deutsche Ostfriesland Ostfriesland heißt: Es liegt östlich vom Ursprungs-Friesland in den Niederlanden). Am Beginn und Ende des Deiches beeindrucken riesige Schleusen.
Dank der so gewonnenen Polder vergrößerte sich die Landfläche der Niederlande um zwölf Prozent: Wohnraum und Ackerfläche für Tausende, Flevoland genannt. Allerdings ist daraufhin der Grundwasserspiegel im angrenzenden Festland gesunken. So ist das mit diesen großen Eingriffen in die Natur.
Entlang des Damms gibt es mehrere Aussichtspunkte, kleine Museen wie das „Vlieter Monument“, oder das neue Besucherzentrum „Afsluitdijk Wadden Center“ bei Kornwerderzand. Dort kann man Einblick in die Zukunft der Küstenverteidigung nehmen, für die Niederländer seit alters her Spezialisten sind, die auch im benachbarten Deutschland gerne zu Rate gezogen werden.
Heutzutage fokussieren die Niederländer aber weniger auf Land-Gewinnung, als auf Land-Verteidigung: Sie beobachten bang den Anstieg des Meeresspiegels, liegen doch fast alle ihre Tulpenfelder und hübschen Windmühlen da drunter. Also unter dem Meeresspiegel. Und die Nordsee nennen sie hier bis heute einen „reißenden Wolf“.

Mein erster Strand-Halt ist in Callantsoog: Einer der ältesten Badeorte der Niederlande, mit einem kleinen Ortskern mit Cafés und Boutiquen. Ich stehe ein paar Kilometer davor bei Tulpenzüchter Albert, der leider, leider gerade alle Tulpen geerntet hat. Ich treffe mit hier mit Steffie, die auch im Wohnmobil lebt. Ich habe sie 2022 auf einem Stellplatz bei Bergheim kennen gelernt, als ich meinen ersten Kastenwagen Libertu gegen meinen Alkoven-Jambo getauscht habe – einen Schritt, den ich bislang noch keine Minute bereut habe. Auch wenn Jambo etwas mühsamer zu rangieren ist.
Da die arme Steffie aus Nordrhein-Westfalen anreist und im Stau steht, greife ich mir meine Nordic-Walking-Stöcke und eile an den ersehnten Strand: Der ist wirklich herrlich: Fein, bestimmt 200 Meter breit, fast leer und endlos.

Diese Strandlinie beginnt schon im nördlich gegenüber der Insel Texel gelegenen Den Helder und sie ist Teil des langen, offenen Nordseestrandes der westlichen Niederlande, der sich insgesamt über mehr als 350 Kilometer erstreckt – von Zeeland bis zu den Watteninseln. Grachten und Windmühlen sucht man hier vergebens: Diese Landschaft ist rau und windig, durchsetzt nur von einigen kleinen Badeorten.

Und geschützt von einem wunderschönen Dünengürtel. Hier beginnt das Naturschutzgebiet Zwanenwater, in dem viele Vögel brüten. Tulpenbauer Albert erzählt, dass es früher zwei Reihen Dünen gab, die vordere noch höher als die noch existierende. Die Winterstürme hätten alles weggerissen, weswegen sie mittlerweile den Strand jeden Frühling wieder aufschütten müssen.
Mit diesen „Zandsuppletie“ wird der Strand regelmäßig verbreitert, um die Dünen zu schützen: Diese breiten, hohen Dünenzüge direkt hinter dem Strand wurden und werden gezielt gepflegt und verstärkt, um als erste Schutzlinie gegen Sturmfluten und Hochwasser zu dienen – an Stelle von Deichen. Die Niederländer sehen ihre Dünen nicht nur als Naturlandschaft, sondern als aktiven Teil ihrer Wasserabwehrstrategie. Sie können bis zu 50 Meter hoch und hunderte Meter breit werden.


Zwei Tage später düst Steffie mit ihren drei Fellnasen zurück Richtung NRW via Amsterdam und ich steure mein nächstes Ziel an: Bergen. Die Übernachtungswiese ist bei einem ehemaligen Bauernhof, der improvisiertes Camping anbietet: Jurten, Boote und ausgebaute alte Lastwagen stehen bunt durcheinander, in denen offensichtlich dauerhaft gewohnt wird. Nett.

Ich fahre mit dem Rad ins ehemalige Künstlerdorf Bergen, das mittlerweile hochpreisig-totaltouristisch daherkommt. Aber nette Läden gibt es hier! Gottseidank brauche ich nichts. Galerien, Ateliers und Musikfestivals verleihen dem Ort eine Kultur-Note.




Links und rechts der Landstraße nach Bergen aan Zee, dem Badort-Ableger, liegen in einem Pinienwald Landsitze auf großen Anwesen. Zäune drumherum und Sportwagen vor der Tür. Die Sommerhäuschen der Reichen und Schönen aus Amsterdam, nehme ich mal an.



In Bergen an Zee laufe ich am herrlich breiten Strand Kilometer lang an der Brandung entlang, die Smartwatch schlägt Alarm, weil der Wind so laut in meinen Ohren braust. Ich mache Pause, aale ich mich im Windschatten und gönne mir ein Eis.


Sechs Millionen Euro kostet eine der Villen bei Bergen, die gerade zum Verkauf steht, verrät mir der Eisverkäufer. Ein Schnäppchen, meint er. Nun denn…

Durch den vier Kilometer breiten Dünengürtel lässt es sich auf makellosen „Fietspads“ schön radeln. Die Pinien wurden künstlich angepflanzt, das macht man heute nicht mehr, sondern setzt auf einheimische Arten.
Nach einem Abstecher ins hübsche Städtchen Alkmaar zieht mich das strahlende Wetter zurück zu Strand und Dünen. In der Nähe von Egmond aan Zee lockt Betreiber Goven Camper auf eine von hohen Bäumen umstandene Wiese hinter einem stattlichen Herrenhaus. Dankenswerterweise nimmt er für eine Person ohne Strom nur 22,70 EUR – günstig hier in den Niederlanden. Freistehen ist schwierig, weil nicht erwünscht.
In zehn Minuten bin ich mit dem Rad in Egmond aan Zee, das unter den recht gesichtslosen Badeorten als ehemaliges Fischerdorf noch einer der Gemütlichen ist. Und ziemlich voll. Aber abseits der Touristenmeile mit Souvenirshops und teuren Boutiquen geht es ruhig zu.



Der hiesige Leuchtturm „Jan van Speijk“ ist ein Wahrzeichen und soll der schönste Leuchtturm in Noord Holland sein. Zumindest ist er schöner als die hässlichen Hotel-Betonbunker-Bauten.


Er bietet eine sicher eine fantastische Aussicht über die Nordsee, ich bin aber zu faul, hinaufzusteigen. Lieber eile ich zum Strand – denn der toppt mal wieder alles:



Durch den Dünengürtel geht es am Nachmittag mit dem kleinen roten Bike weiter nach Castricum aan Zee. Das winzige Örtchen besteht nur aus ein paar Strandbuden, ist weniger bekannt, aber gerade deshalb bei Einheimischen sehr beliebt. Dort gebe es einen sehr schönen Strand-Pavillon (Beachbar) im Boho-Stil, schreibt die Kollegin Nicole Hildebrandt in ihrem Blog fiftytwofreckles:
Travel Holland – Strandpavijoen Tulum Noordwijk & Club Zand Castricum

Hier verbringe ich ein gemütliches Stündchen mit einem mega leckeren Vegan Mango Cheesecake – ein Gedicht! Im Sommer ein schöner Ort für Cocktails oder frischen Fisch, im Winter sitzt man hier bestimmt sehr gemütlich am knisternden Kaminfeuer.





Zurück geht es durch „Noordhollands Duinreservaat“, das von diesen wetterfesten Mitarbeitern des Naturreservates licht und offen gehalten wird:


Rad-, Wander- und Reitwege durchziehen die Dünenlandschaft mit ihren Heideflächen und Kiefernwäldern kreuz und quer, immer wieder führen Abstecher zum grandiosen Strand.

Nicht einmal 100 Kilometer bin ich die Küste von Noord-Holland zwischen Callantsoog und Castricum aan Zee hinuntergefahren – und doch hin und weg. Für Strandläufer und Radler ist das hier ein Paradies. Ein bisschen teuer, weil frau nicht gut freistehen kann, aber irgendwas ist ja immer. Windjacke und Mütze nicht vergessen!
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