Der Campingplatz Etruria schließt am nächsten Tag für den Winter. Es ist Sonntag, 18. Oktober. Ein paar hundert Meter weiter ist aber ein kleiner Stellplatz neben einem großen PKW-Parkplatz, auch direkt am Strand.
Kristina hat mir als nächstes Ziel den Golfo di Barrati empfohlen: Dort glitzere der Sand wie von Edelsteinen und frau könne in einem uralten Pinienwald lustwandeln. Nichts wie hin. Ich hätte gleich weiter fahren sollen: An diesem sonnigen Sonntagnachmittag ist Barrati knallvoll mit Ausflüglern und extrem camperfeindlich: Es geht schon auf der Zufahrtstraße los, die für größere Fahrzeuge angeblich nicht geeignet ist, was nicht stimmt. Es wimmelt von Verbotsschildern für Wohnmobile, und während ich die zugeparkte Durchfahrtstraße entlang tuckere, werde ich langsam sauer und denke mir, dann eben nicht.
Doch ganz am Ortsende ist auf dem großen Parkplatz eines archäologischen Parks noch Platz, dort stehen noch ein paar andere Wohnmobile, also halte ich. Fehler Nummer eins, denn Touri-Hotspots soll man meiden. Der Parkplatz ist teuer und angeblich kameraüberwacht, also denke ich, er ist auch sicher. Fehler Nummer zwei. Es ist schon 16:00, langsam wird es dunkel und ich will noch auskundschaften, ob man nicht doch hier irgendwo übernachten kann.
Dadurch unter Zeitdruck vergesse ich, das Navi zu verstecken, was ich sonst immer tue. Ich ziehe auch nicht die Fenster-Rollos zu, das hochwertige TomTom, Geschenk von meinem Bruder, ist auf dem Beifahrersitz sichtbar. Fehler Nummer drei. Die Laptops stecke ich in den Packsafe und schließe ihn sicher weg, aber ich vergesse in der Hektik auch, dass das Ipad im Hängeschrank am Strom steckt. So nimmt das Unheil seinen Lauf.
Als ich nach anderthalb Stunden vom Strandspaziergang zurückkomme, ist das Fenster in der Schiebetür aufgebrochen, einer der Riegel heraus geschnitten und der Van offensichtlich in großer Eile durchwühlt. Libertu ganz und gar klauen konnten sie nicht: Ein Hoch auf mein BearLock, eine eingebaute mechanische Wegfahrsperre.
Den Packsafe haben die Diebe gefunden, aber nicht einmal versucht, ihn aufzubrechen, soweit so gut. Das Aufnahmegerät ist auch noch da, das zweite habe ich eh immer mit. Mein Portemonnaie mit sämtlichen Ausweisen und Bankkarten natürlich auch. Die Kamera war gut versteckt, die haben sie nicht gefunden. Aber das Ipad ist weg, meine Festplatten, Kameraobjektive, die Tasche mit sämtlichen Ladegeräten und -kabeln und noch so einiges andere. Das kann man alles ersetzen, ich habe eine Innenraumversicherung, aber das Blödeste ist, dass man nun durch das kaputte Seitenfenster greifen und die Schiebetür aufmachen kann. Bin ich geschockt, traumatisiert? Nein, eher wütend, auch auf meine eigene Blödheit.
Wohin nun, es wird dunkel und hier kann ich nicht bleiben: Übernachten verboten und so ungastlich, wie Baratti ist, ruft bestimmt jemand die Carabinieri. Außerdem kommen die Diebe vielleicht zurück, weil sie jetzt wissen, dass sie bei mir einfach reinlaufen können, gruselig. Nichts wie weg hier. Apropos Polizei: Morgen muss ich den Diebstahl ja auch anzeigen, jetzt am Sonntagabend bringt das nichts mehr. Also auf in die nächste größere Stadt: Piombino.
Ich steuere per App den nächsten Stellplatz dort an, ein riesiger Parkplatz voller Wohnmobile. Mittlerweile ist es finster, darum bemerke ich auf den ersten Blick nicht, dass niemand, wirklich keine Menschenseele, in einem der Wohnmobile übernachtet: Die sind hier allesamt für den Winter abgestellt. Unheimlich. Ab und zu kommt ein Auto, fährt langsam durch den Parkplatz und verschwindet wieder: Auch unheimlich.
Es ist der mit Abstand fieseste Übernachtungsplatz der ganzen bisherigen Reise. Und das ausgerechnet an so einem Abend und mit einem kaputten Fenster. Ich fühle mich zum ersten Mal nicht sicher im Libertu: Angreifbar und mutterseelenallein. Gottseidank ist wenigstens der Hund da. Ich suche via ICloud mein Ipad, aber das ist ausgeschaltet, so dass man es nicht orten kann, da waren Profis am Werk.
Apropos Profis: Den Router haben sie auch drin gelassen, aber daran herumgefummelt, das Passwort steht vorne drauf, blöder Weise hatte ich es nie geändert. Plötzlich habe ich die Idee, der Router könnte gehackt worden sein, die Mistkerle oder bewanderte Kollegen mein WLAN infiltriert haben und gerade meinen Laptop ausspähen: Ein scheußliches Gefühl, das mich noch Monate lang nicht verlassen wird. Die Nacht wird kurz, sehr kurz, ich mache vielleicht ein, zwei Stunden ein Auge zu. Und auch nur eins….
Früh am nächsten Morgen fahre ich zur nächsten Polizeiwache, aber die öffnet erst um 10:00, die haben Nerven! Nun versagt auch noch das Internet, so dass ich ziemlich aufgelöst die arme Karin in Pallazago anrufe. Sie muss eigentlich selbst gerade los, sucht mir aber schnell die zentrale Adresse der Carabinieri heraus und lotst mich dort hin, grazie mille, Karin! Auf der Wache erkläre ich einem jungen Polizisten in schicker, dunkelblauer Uniform radebrechend mein Anliegen. Er huscht dienstbeflissen nach nebenan, wo der Boss sitzt.
Der Chef erinnert mich an den Orang-Utan-König im Dschungelbuch: Dickbäuchig und in Zivil, in speckiger schwarzer Lederjacke (das Fenster steht trotz der Morgenkühle weit offen, wegen Corona), hockt er zusammengesunken hinterm Schreibtisch, das Doppelkinn unrasiert, und könnte gleichgültiger nicht sein. Mürrisch nimmt er meine Anzeige auf, die ich ihm mit Hilfe der Google-Übersetzungsapp diktiere. Ob in Baratti öfter Wohnmobile aufgebrochen werden, frage ich. Das wüsste er nicht, für Baratti seien die Kollegen zuständig, die ich zuerst angesteuert habe. Die machen erst um 10:00 auf, sage ich. Achselzucken. Ob sie im Van Fingerabdrücke nehmen wollen, er stehe draußen auf der Straße? No. Der Parkplatz sei kameraüberwacht, ob sie die Videos auswerten würden? Nö.
Der Signore Polizist überschlägt sich nicht gerade vor Ermittlungseifer. Er druckt das Protokoll in dreifacher Ausführung aus, ich muss jede Seite unterschreiben, und fertig ist die Prozedur. Stempel drauf, auf Wiedersehen. Ich hoffe mal, bei Mord und Totschlag wird er munterer, der Polizeichef von Piombino.
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