Nach Westen nach Lari und Sant’Ermo: Treffen mit Kristina

13. Oktober 2020 | Italien, Begegnungen

Ich bin ich mit Kristina Schmidt in Lari verabredet, einem mittelalterlichen Dorf im Westen der Toskana, in der Nähe von Pisa und Lucca. Kristina ist vor vielen Jahren eher unfreiwillig in die Toskana ausgewandert. Mit Wärme und Witz erzählt sie in zwei Büchern von ihren nicht nur positiven Erfahrungen als alleinerziehende junge Deutsche. Mittlerweile ist sie in die Dorfgemeinschaft intergiert, hat drei Söhne großgezogen und fühlt sich in Italien zu Hause. Jetzt hat sie ein neues Projekt am Wickel, das sie mir vorstellen will.

Aus anderthalb Stunden Fahrt werden drei, wegen eines Staus nach einem Unfall auf der Autobahn: Lastwagen gegen Motorrad, die Maschine ist total zermalmt. Mir wird wieder einmal klar, dass das Leben wirklich blitzschnell vorbei sein kann. Kristinas Tipp fürs Übernachten: Neben dem Hotel San Marco in Cascania Terme. Das Hotel in dem Kurort ist geschlossen, gleich daneben ist viel Platz auf einer festen Wiese. Ein anderes weißes Wohnmobil aus Italien steht dort wohl schon länger. Abends lärmen auf dem Hotelparkplatz ein paar Ragazzi, lassen die Motoren ihrer Roller aufheulen und erfreuen sich am Krach. Gegen 22:00 ist aber Ruhe: Gute Nacht.

Am nächsten Vormittag erwische ich einen falschen Abzweig und schraube mich mal wieder mit eingeklappten Spiegeln auf einem abenteuerlich schmalen Sträßchen die Berge hoch nach Lari. Gottseidank herrscht wenig Verkehr, ich komme etwas zerschrammt, aber ansonsten heil am Friedhof von Lari an, der einzige Platz, an dem man so einen Grauwal parken kann.

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Der beste Cappuccino in Lari: Direkt auf der Piazza, auf der im Sommer Theater gespielt wird

Lari entpuppt sich als sehr hübsches Dorf, trotz der guten Lage noch unbelastet vom Massentourismus, mit Käseladen, einer feinen Salumeria, kleinem Obst- und Gemüseverkauf, einer preisgekrönten Bäckerei und Castello im Zentrum.

Typisch toskanische Idylle also, Aber viel lebendige Kultur und Geschichte machen Lari darüber hinaus zu einem ganz besonderen Ort: Da ist die Theaterfamilie mit 100jähriger Tradition, deren Mitglieder früher mit Pferdewagen zu ihren Auftritten gefahren sind, wie in „La Strada“. Die Szenica Frammenti haben jetzt ein kleines Teatro mitten in Lari, in der Via Dante, gleich neben der Piazza und veranstalten seit mehr als 20 Jahren im Sommer auch ein Festival. http://www.scenicaframmenti.com

Da ist die kleinste Nudelfabrik Italiens, eher eine Manufaktur, ebenfalls ein Familienbetrieb. Die Martellis machen gaaanz langsam fünf Sorten Pasta nach traditioneller Produktion: Bronzedüsen in der Teigmaschine sorgen für eine raue Oberfläche der Nudeln, an der die Soßen besser haften. 50 Stunden wird die Pasta getrocknet und dann von Lari aus in alle Welt verschickt: Bis nach Singapur und in die USA.

https://famigliamartelli.it

Das kleine Tonstudio S.a.m diente schon den Sportfreunden Stiller als Produktionsstätte, betrieben wird es von Mirco Mencacci: Er ist seit einem Unfall in der Kindheit blind, hat dadurch aber ein ganz feines Gehör. Mirco sammelt Aufnahmetechnik aus vor-digitaler Zeit. Er führe eine persönliche Schlacht gegen die akustische Umweltverschmutzung, sagt er.

Kristinas Projekt heißt „Leben mit Freunden in der Toskana“:

https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjekpSaxY7vAhVMnqQKHdd0ASMQFjABegQIARAD&url=https%3A%2F%2Fwww.immobilientoskana.com%2FProjekt-Leben-mit-Freunden-in-der-Toskana.htm&usg=AOvVaw3j9l-TGmFvTl8l0iDl5dHZ

Sie liebt zwar die Sonne, die Landschaft, das nahe Meer und das Essen in der Toskana, stellt aber auch fest, dass trotz guter Integration und Sprachkenntnisse tiefe Freundschaften schwierig sind. Es bleibe eine kulturelle Barriere, sagt sie, Italiener machten viel innerhalb der großen Familie aus, die Offenheit zu Außenstehenden habe darum ihre Grenzen.

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Viele schöne alte Häuser stehen leer rund um Lari….

Kristina ist gelernte Tischlerin und Steinmetzin. Mit fachkundigem Blick sucht für die alten, schönen, aber vom Verfall bedrohen Häuser auswanderungswillige Käufer aus Deutschland. Einerseits, um die sterbenden Dörfer neu zu beleben und andererseits um ein Netzwerk von möglichst Gleichgesinnten zu schaffen. Denn nicht wenige Deutsche, die hier ein Haus gekauft und sich damit einen Traum erfüllt haben, geben nach einiger Zeit auf und verlassen die Toskana wieder, weil sie trotz aller Freundlichkeit der Italiener keinen Anschluss gefunden haben. 

Hier könnt ihr Kristina erzählen hören, sympathisch offen und druckreif:

Nach einer Weinprobe in einem nahe gelegenen Bio-Weingut komme ich abends etwas angetütert wieder auf der Wiese am Hotel San Marco an. Gute Nacht! Am nächsten Tag steht ein Projekt an, vor dem mir etwas graust und das ich schon länger vor mir herschiebe: Das Kompostklo muss nach rund zwei Monaten zum ersten Mal geleert werden. Aber die Prozedur entpuppt sich als ganz einfach und auch gar nicht unangenehm: Urintank abnehmen, Vier Schrauben lösen, Klo aus dem Bad hieven, den Inhalt draußen in eine große Mülltüte umfüllen (mangels Komposthaufen und Garten), derweil einen neuen Ziegel Kokos-Torf in heißem Wasser aufweichen, einfüllen (nein, das Klo nicht sauber machen, die Mikroorganismen sollen ja gleich weiter arbeiten), Bad putzen, Klo wieder einschrauben, fertig. Der Mulch ist tatsächlich nur torfartige Erde und riecht nur ein bisschen erdig: super!

Nachdem das erledigt ist, fahre ich ins Dörfchen Sant‘ Ermo, ganz in der Nähe von Lari. Dort hat Kristina mit ihrem italienischen Mann ein Haus gekauft und renoviert, ihre drei Söhne großgezogen und mit Blick über die rollenden Hügel der Toskana ihre Bücher geschrieben.

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Weil sie noch zu tun hat, gehe ich mit Kinu eine Runde ums Dorf. Die Bewohner haben einen Pfad angelegt zu alten Waschplätzen an einem Bach: Hier haben die Frauen früher von Hand gewaschen. Die Umgebung ist gar lauschig: Weinreben, Olivenhaine, Felder, Wiesen, Wälder….

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Übelhund vor der Kulisse von Sant’Ermo

Als am Rand eines Olivenhains eine Ricke aufspringt, rast der verdammte Köter hinterher, taub für alles Rufen. Ich suche eine ganze Weile, Kristina postet sein Foto in der Facebookgruppe der Dorfgemeinschaft und er wird auch relativ schnell auf der Piazza gesichtet: Verstört und bedröppelt.

Auf den Schreck gibt es bei Kristina Kaffee und eine heiße Dusche, abends gehen wir sehr lecker essen: Die Theaterfamilie in Lari betreibt auch eine gemütliche kleine Enoteka.

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