Es ist der 5. März, und der Abschied von Spanien ist stürmisch: Auf der Autobahn zur Grenze und nach Frankreich kämpfen die LKW-Fahrer darum, ihre Kolosse in der Spur zu halten. Auch Libertu wird kräftig durchgeschüttelt, und ich schlage einmal mehr drei Kreuze, dass er diese Luftfederung hat, die ihn weniger seitenwindanfällig macht.
In Girona tanke ich noch ein letztes Mal spanischen Diesel (für 1,56) und wasche endlich einmal den dreckigen Van. Der Kreisverkehr an der Tankstelle führt mich in ein Wohnviertel mit engen Gassen, aus dem ich nur mühsam und fluchend wieder herausfinde. Immer eingedenk der ganz aktuellen Geschichte einer anderen Alleinreisenden, die in Girona überfallen und beraubt wurde. Doch dann finde ich endlich die mautfreien Nebenstraßen und rolle in Portbou über die Grenze. Dort, wo Walter Benjamin sich im September 1940 umgebracht hat und begraben liegt, weil seine Flucht vor den Nazis gescheitert war.
Ein serpentinenreiches Sträßchen bringt mich durch noble Ferienorte. Einige Kilometer hinter Perpignan, bei Torreilles, finde ich am Ende einer holprigen, von Schlaglöchern übersäten Piste einen großen, fast leeren Strandparkplatz. Endlich wieder am Meer! Mit Blick auf die Pyrenäen-Ausläufer. Kinu, der die vergangenen Tage viel im Van hocken musste, ist überglücklich und pest wie in jungen Jahren durch den Sand. Ich dagegen bin verblüfft: Dachte ich doch, hier fängt die Cote d’Azur an. Beim etwas verspäteten Blick auf die Landkarte stelle ich aber fest, dass die an Italien grenzt und sich von hier aus bis zur Camargue erst einmal die Regionen Languedoc-Roussillion und Midi-Pyrénées erstrecken. Respektive Occitaine, wie die Gegend seit 2016 heißt. Na denn.
Nach einer kalten und sehr windigen Nacht, mache ich am nächsten Morgen im Sonnenschein die ersten Fotos für den Verkauf von Libertu: Im Winter in Portugal habe ich mir ein anderes, größeres Wohnmobil ausgeguckt und nach einem Experten-Check auch schon angezahlt: Ein klassisches Alkoven-Modell mit Hecksitzgruppe. Und nun gilt es, in Deutschland ein neues gutes Zuhause für meinen geliebten VANTourer zu finden. Der Gedanke fällt mir nicht leicht, zwischenzeitlich überlege ich sogar kurz, ihn zu behalten, falls der Neue mir doch zu groß und unhandlich ist. Aber das ist ja Quatsch und ich kann es mir auch gar nicht leisten. Mit vielen Fotos setze ich meinen treuen Begleiter der vergangenen anderthalb Jahre, mein rollendes Zuhause, bei mobile.de ein und hoffe inständig, dass die Interessenten sympathische Menschen sind.
Die Preise im Intermarché bei Leucate sind nach Spanien ein ziemlicher Schock. Auch der Diesel ist 0,30 € teurer, Gott sei Dank habe ich in Girona noch einmal vollgetankt. Das Örtchen ist aber sehr farbenfroh und sympathisch. An der Hauptstraße reihen sich lauter nette kleine Lädchen, ohne den üblichen Tourikram made in China. Trés jolie! Aber nur 13 Grad, bibber….
In Leucate hätte es einen kleinen kostenlosen Stellplatz gegeben (danke Frankreich!), aber ich mache den Fehler, ein paar Kilometer weiter zu fahren, nach La Franqui. Ein endloser Strand, das Wasser leuchtet in karibischen Farben, der Spot zieht Windsurfer von nah und fern an, doch Camper mag man hier nicht, auch nicht in der Nebensaison. Verbotsschilder allüberall, Hunde sind am Strand auch nicht erlaubt, dann eben nicht. Aber es ist ein sehr hübsches Ferienörtchen, mit lauter Einzelhäusern und vielen Pinien, geschmackvoll. Jetzt ist alles geschlossen, aber im Sommer ist hier bestimmt die Hölle los.
Ich schaue bei France Passion, welcher Gastgeber hier in der Nähe ist – und stoße auf das Château du Lac bei Sigean: auf geht’s. Ich liebe ja France Passion! Man zahlt 29 Euro Mitgliedsgebühr und kann dafür ein Jahr lang bei allen 3.000 Mitgliedshöfen umsonst stehen, wenn man dort etwas einkauft. Viele davon sind Weingüter, so auch das Chateau du Lac, das eigentlich die Ruinen des Schlosses am See heißen müsste.
Ich parke und klingele am Haus, werde auf die abendliche Weinprobe verwiesen und mache nach dem Mittagessen eine schöne Wanderung zum Meer.
Der Weg führt durch eine Landschaft aus Schilf und dann Heidekraut und Kiefern, die sich vor dem Wind ducken und krümmen. Auch heute ist es sehr windig, das scheint her der Normalzustand zu sein.
In der malerischen Landschaft zwischen Heide und Meer stoße ich auf einen kleinen Grabstein.
Die Weinprobe ist um 18:00 Uhr. In dem kalten Raum mit Betonboden in der Schlossruine fröstele ich vor mich hin. Die anderen Gäste sind alles Franzosen und sprechen so schnell, dass ich kaum etwas mitbekomme. Ich verstehe aber, was der Winzer erzählt: Dass das Schloss wegen der Kollaboration der Besitzer-Familie mit der deutschen Besatzung nach 1945 zerstört wurde. Sein Großvater hat es dann gekauft, hat mit der Restaurierung begonnen, die er nun fortsetzen will.
Diese Region sei die windigste Ecke in ganz Frankreich, meint er noch, das bringe Frische in den Wein. Sein Muscat und der Traubensaft sind ganz köstlich, zwei Flaschen kommen mit. Ich frage ihn nach dem Grabstein und bin sehr betroffen, als er ernst erzählt, er erinnere an seine kleine Tochter, die gestorben ist. Der Ort heiße „Paradies“ und danach sei auch sein Wein benannt. Er ist sehr gefasst, aber ich verfluche mich für meine Neugier und das ich mal wieder den Mund nicht halten konnte.
Am nächsten Morgen geht es in einem Bogen um den großen See herum zurück an die Küste und ins ehemalige Fischerdorf Gruissan. Der hübsche Ort hat wie so viele hier seine Seele an den Tourismus verkauft. Eine Kugel Eis kostet 2,80 € und am Eingang der Kirche wird vor Taschendieben gewarnt. Der überraschend volle Stellplatz (9,-) liegt aber sehr schön, direkt am Wasser hinter dem Yachthafen. Und es gibt dort heiße Duschen!
Über dem Ort thront eine Burgruine aus dem 12. Jahrhundert. Nett: Man kann in Gruissan offensichtlich in den vielen Pilotis übernachten: Pfahlbauten auf Stelzen, die für diese Gegend typisch sind. Früher wurde von ihnen mit Senknetzen gefischt.
Um Narbonne mache ich am nächsten Tag einen Bogen, auf Großstadt habe ich keine Lust, und nach wenigen Kilometern, in Saint-Pierre–sur-Mer werfe ich schon wieder Anker. So richtig schnell komme ich auf meinem Weg nach Deutschland nicht voran, aber es lockt ein langer Strandspaziergang. Und der Stellplatz hier kostet nur fünf Euro inklusive Frisch-Wasser. Freistehen kann man nämlich ziemlich vergessen: Die Parkplätze haben alle Höhenbeschränkungen. Die ganze Gegend ist quasi ein einziges riesiges Feriendorf, derzeit geschlossen. Weil der endlos lange Strand menschenleer ist, habe ich das Hundeverbot mal geflissentlich ignoriert.
Am nächsten Tag wieder ein Stopp via France Passion, beim Muschelfischer Yvan Caussel in Mèze. Im Bassin de Thau hat seine Familie seit drei Generationen ihre Muschelbänke erzählt Yvan, während er mir lecker Miesmuscheln, Crevetten und Tintenfisch in Tüten schaufelt. Alles taufrisch und sehr günstig. Yvans größte Sorge ist der Klimawandel: Die Temperatur des Wassers in der Lagune steigt und die Muscheln ersticken, weil es nicht genug Sauerstoff gibt. Außerdem macht ihm das Mikroplastik in den Meeren sehr große Sorgen, respektive richtig Angst, wie er sagt.
Am nächsten Tag, es ist der 9. März, mache ich eine dieser Entdeckungen, die ich auf meinen Reisen so liebe: Pézenas, in meinem Reiseführer mit keinem Wort erwähnt. Wohl aber auf der von mir sehr geschätzten ADAC-Reisekarte. Das „Versailles des Languedoc“, da im 16. und 17. Jahrhundert Sitz des Gouverneurs, liegt einige wenige Kilometer im Landesinneren.
Mitte des 17. Jahrhunderts besuchte Moliere mit seiner Theatertruppe (unbedingt das gleichnamige Biopic mit der unglaublichen Treppenszene am Ende gucken) die damals prächtige Stadt. Darauf ist Pézenas bis heute sehr stolz. 1803 wurde das Theater der Stadt in einer ehemaligen Kapelle gegründet und widmete sich pflichtschuldigst der von Moliere gegründeten Tradition der „Comédie Francaise“.
Die Stadtpaläste mit ihren prächtigen Innenhöfen sind für die Öffentlichkeit verschlossen, denn hier herrscht noch nicht das Diktat des Massentourismus, wie an der Küste. Trotzdem gibt es sehr viele hübsche kleine Lädchen, Galerien und Künstlerwerkstätten. Trés charmant! In einem der kleinen Lädchen kaufe ich nach längerer Diskussion mit der Inhaberin CBD-Hanföl für Hunde auf Lachsöl-Basis. Ich bin skeptisch, aber der alternde Kinu ist mit drei Tropfen im Futter tatsächlich wie ausgewechselt. Als hätte er überhaupt keine Schmerzen mehr.
Am nächsten Vormittag hat Google Maps die tolle Idee, mich quer durch Montpellier zu lotsen. Aber so erhasche ich im Stau auf einer Stadtbrücke immerhin einen Blick auf die Altstadt. Zurück an der Küste betrachte ich während der Mittagspause auf einem kleinen Parkplatz am Straßenrand das Grauen in Gestalt eines Ferienortes nur von Ferne: La Grande-Motte.
Frankreichs erste riesige Ferien-Stadt, in den 60ern in einen trocken gelegten Sumpf geklotzt. 1968 war die damals futuristische Planstadt des avantgardistischen des Architekten Jean Balladur fertig. Sechs Kilometer langer Sandstrand, knapp 200 Hektar Grünfläche, fast 90 Hektar Wald, aber auch 100.000 Gäste im Sommer, Restaurants, Bars, Animation usw…. Ferien machen möchte ich da nicht, Hilfe nein. Aber die terrassenförmig angelegten Hochhäuser, die an präkolumbianische Pyramiden erinnern, sind architektonisch durchaus interessant. Auf arte gab es unlängst eine Serie, die spielte in La Grande Motte im Winter.
Ich nehme Abschied von der Küste und fahre wieder landeinwärts, nach Nimes: Mich locken die grandiosen römischen Denkmäler, die der Stolz von Nimes sind. Die keltische Stadt wurde 121 v.Chr. von den Römern erobert und Teil der Provinz (daher Provence) Gallia Narbonensis. Das Amphitheater Les Arènes wurde von 90 bis 120 v. Chr. gebaut, es bot mit seinen 34 Rängen seinerzeit 24.000 Besuchern Platz, um sich an blutigen Gladiatorenkämpfen zu ergötzen.
Außerdem steht in Nimes das Maison Carrée, einer der am besten erhaltenen Tempel der römischen Welt, aus der Zeit des Kaisers Augustus (unbedingt den gleichnamigen Briefroman von John Williams lesen). Solche Zeugnisse der Vergangenheit ziehen mich an wie Honig die Bienen.
Also geht es durch jetzt noch kahle Platanenalleen zu einem Campingplatz, der einzige weit und breit, der schon offen ist. Heute erst einmal Wäsche waschen, morgen dann auf zu den römischen Ruinen. In der Nähe solcher Touristen-Hotspots und Großstädte stehe ich immer auf einem Campingplatz, denn nach dem einem Mal in der Maremma im Herbst 2020 habe ich überhaupt keine Lust mehr auf Einbrecher.
Am nächsten Tage fahre ich bei 13 Grad, Regen und Wind mit dem Bus ins historische Zentrum. Kinu, die Banause, muss zu Hause bleiben. Ich durchstreife das 130 Meter lange und 100 Meter breite Amphitheater „Les Arènes“, das weniger ein Theater war, als wie auch das Kolosseum in Rom Schauplatz blutiger Kämpfe und Pferderennen und dergleichen. Das besterhaltene Theater des römischen Imperiums ist heute im Sommer Schauplatz von Stierkämpfen und Konzerten.
Einige wenige Bus-Stationen weiter entpuppt sich das „Maison Carree“, der Augustus-Tempel auf dem Forum, als ein Wunder an Symmetrie und Erhabenheit.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, entwarf Sir Norman Foster vis a vis das Museum für moderne Kunst. Das lichte, gläserne Carré d’Art beherbergt Gegenwartskunst von Baselitz, Richter und Polke – und auch die öffentliche Bibliothek. Ein würdiger Gegenpart, ein herrlicher Tag.
Nimes hat mir trotz Sauwetters ausgesprochen gut gefallen: Das grandiose Erbe der römischen Vergangenheit wird eher achselzuckend in den französischen Alltag integriert. Mit dem Licht des Sommers ist Nimes bestimmt ein Traum.
Zwischen Nimes und Avignon liegt praktischer Weise die 2.000 Jahre alte Pont du Gard, ein weiteres Wahrzeichen Südfrankreichs und UNESCO-Weltkulturerbe. Früher war dieser gewaltige, fast 50 Meter hohe Viadukt aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. Teil eines Aquäduktes, der über 50 Kilometer hinweg Trinkwasser noch Nimes transportierte.
Die drei übereinander liegenden Arkadenreihen wurden ohne Maschinen gebaut, ohne Beton, aber bestimmt mit jeder Menge Sklaven, die dabei drauf gegangen sind.
An solchen Orten wird die Geschichte lebendig. Weshalb die Pont du Gard auch das am meisten besuchte antike Monument in ganz Frankreich ist. Außerdem soll es der am besten erhaltene römische Bau der Welt sein.
Es gibt einen Stellplatz in der Nähe, und ein wohl sehr sehenswertes Museum. Das ist zwar im Eintrittspreis von neun Euro inbegriffen, aber ich muss wegen des dort nicht erlaubten Hundes zähneknirschend verzichten. Draußen anbinden in Kälte und Nässe mag ich ihn nicht. Der Stellplatz ist mir zu teuer, drum fahre ich am frühen Abend noch weiter nach Avignon. Und erreiche die Provence.
Wow 🤩 nach deinem herrlich lebendig geschriebenen Bericht 👌freue ich auf das Reisen nun noch mehr 👍danke
Danke für die Blumen! Und besten Gruß an den Gatten. LG, Vanja
Hi Vanja. It is a great pleasure to read your travel stories accompanied with good pictures. We met last winter in the Algarve. We were traveling around with our Puppet theatre Globus. Maybe you still remember us. Wish you all the best and save travelling ! Many kind regards, Kirsten Konings
Dear Kirsten, of course I remember the wonderful night on the Quinta Alfarrobeira and your magic soup! How is the theater doing? All the best, greetings from Sardinia, Vanja