Bevor ich will wieder nach Osten abbiege, Richtung Toskana, brauchen Kinu und ich noch ein paar laaange Spaziergänge am Meer. Zwischen uns und den endlosen Sandstränden der Adria liegt das Delta des Po. Nach seiner von Dämmen und Deichen gezähmten Reise durch die wichtigste Landwirtschafts- und Industrieregion Italiens ergießt sich der Fluss hier ins Adriatische Meer. Knapp 400 Quadratkilometer ist das Delta groß, ein ehemaliges Sumpfgebiet, das seit dem Mittelalter mit Kanälen und Schleusen entwässert wurde, um Land vor allem für den Reisanbau zu gewinnen. Heute sind große Bereiche ein Naturpark: Der Parco regionale del Delta del Po.
Ein Delta hat immer einen einen besonderen Zauber: Es ist eine Zwischenwelt, geformt von Fluss, Meer und Land. Die Straßen durch den Parco regionale verlaufen auf Dämmen, sie sind sehr schmal und geben einem das Gefühl, über den Wassern zu schweben, vor allem wenn man einen Lieferwagen fährt und weit oben sitzt: Links und rechts schimmern Lagunen, große Becken und flache Seen, durch die hindurch sich der Po in vielen Verzweigungen seinen Weg in die Adria sucht.
In einer Camping App Ist ein Parkplatz genannt, am Rande eines dieser schmalen Sträßchen, mitten im nirgendwo. Am Spätnachmittag komme ich an. Vögel zwitschern, der Wind wispert im Schilf und Mücken summen. Viele Mücken. Sehr viele Mücken!! Ich bin froh, dass jedes Fenster des Vans Insektengitter hat und die Schiebetür auch. Niemand ist hier, mitten im Delta, nur ein leerer weißer Lieferwagen steht am Rand des Parkplatzes.
Ich schlendere ein Stück die Straße zwischen den Lagunen entlang. Fast 400 Vogelarten leben im Po-Delta, etliche davon tummeln sich auf und am Wasser, ich erkenne Grau- und Seidenreiher, Haubentaucher und Kormorane. Es gibt hier aber auch Rohrweihen und Zwergdommeln, Drosselrohrsänger, Rohrammer, Seidensänger und die seltene Weißbart-Seeschwalbe. Im Winter kommen Tausende von Blässhühnern und viele Entenarten hierher, auch Bekassinen und Uferschnepfen.
Zurück beim Parkplatz steht der weiße Lieferwagen immer noch da. Seine Insassen erspähe ich in einiger Entfernung auf einem Steindamm an der Lagune: Drei Angler. Wahrscheinlich sind sie ganz harmlos, aber trotzdem fühlt sich die Situation irgendwie ungut an: Drei Typen und ich, mitten im Delta, kein Haus weit und breit und bald wird es dunkel. Regel Nummer Eins für allein reisende Camperinnen und überhaupt alle Freisteher: Wenn du ein komisches Gefühl hast – fahr weiter! Und genau das mache ich auch. Es ist noch etwa eine Stunde hell, und in dieser Zeit schaffe ich es zum Spiaggia di Boccassette. In einem kleinen Laden in einem der wenigen Dörfchen kaufe ich bei einer alten Frau schnell noch eine Packung Milch und Espresso: Das Frühstück ist gerettet. Am Strand von Boccassette angekommen, weit draußen, wo das Meer ans Delta brandet, stehen auf dem Parkplatz noch zwei andere Wohnmobile.
Der Strand ist wild und voller Treibholz, das letzte schwindende Licht schimmert auf dem Wasser, die ersten Sterne leuchten am Himmel, und weit draußen läuft ein hell beleuchteter großer Tanker einen der Adriahäfen an. Sei es in Italien, Kroatien oder Albanien.
Am nächsten Morgen finde ich allerlei Angeschwemmtes. Hier an den Stränden und auf den Sandbänken brütet der Austernfischer, der im übrigen Italien fast verschwunden ist.
Die Landschaft ist schön und etwas geheimnisvoll, aber es sind dermaßen viele Mücken unterwegs, dass ich nicht länger bleiben möchte. Und so geht es weiter über die Dämme des Delta Richtung Süden.
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