Sommer in Polen 2 – Die Frische Nehrung

30. Juli 2021 | Polen

Ein langer, sehr schmaler Sandstreifen trennt das Frische Haff von der offenen Ostsee: Die Frische Nehrung, auf Polnisch die Weichsel-Nehrung. Schon ewig wollte ich hier einmal hin. Nicht wegen der endlosen Strände, sondern wegen der Geschichte Ostpreußens.

Sommer in Polen 2 – Die Frische Nehrung 1
Zauberhafte Landzunge: Die Frische Nehrung

Wir steuern einen der letzten Parkplätze vor der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad (vor 1946 Königsberg) an. Mandy, die eh nur mir zuliebe mitten hinein in den Massenandrang fährt (zwei Drittel aller Polen verbringen die Sommerferien im eigenen Land und davon die meisten an der Ostsee), hat es ja schon geahnt: Sie ist vor mir da und findet nur noch mit Mühe einen Platz, in den wir uns beide hinein quetschen können. Freistehen ist nicht: Die Frische Nehrung ist zwar 70 Kilometer lang, aber nur wenige hundert Meter breit. Es gibt schlicht keinen Raum für Van-Nomadinnen mit Parkplatz-Phobie. Da müssen wir jetzt durch.

Sommer in Polen 2 – Die Frische Nehrung 2
In die letzte Lücke gequetscht: Kuschel-Camping auf dem Parkplatz, ein Traum….

Doch der Strand bei Krynica Morska is herrlich: Breit, schneeweiß, der Sand so fein wie Puderzucker und so weich, dass er quietscht. Meine geliebte Ostsee, endlich! Mandy aber ist kein Strandmensch, sie kann dem Dauerrauschen und all dem Muschelzeugs nichts abgewinnen. Nett von ihr, trotzdem mitzukommen!

Und die Parkplatzsituation bessert sich am nächsten Morgen schlagartig: Am schattigen Waldrand wird etwas frei. Nun stehen wir etwas abseits und haben für schlanke 20 Zloty sogar Ausblick ins Grüne.

Und der schmucke Parkplatzwächter Andi (der ein Auge auf Mandy geworfen hat) erweist sich als sehr hilfsbereit: Als meine frisch erneuerte Wasserpumpe sich vom Schlauch löst, weil ich zu ruckartig den Hahn öffne, organisiert er Thomasz: Sein Kumpel, ebenfalls Camper, kommt mit Fahrrad an, die Werkzeugkiste am Lenker schlenkernd. Als er nach einem Blick auf den Wassertank in der ausgeräumten Heckgarage (kann ich bei der Gelegenheit endlich mal durchfeudeln) nach einem Messer und einem Feuerzeug fragt, zweifle ich kurz an Thomasz‘ Expertise. Doch der Mann weiß, was er tut: Mit dem Küchenmesser begradigt er den Schlauch und mit dem Feuerzeug erwärmt er das Plastik, so dass es besser flutscht. Nach einer schweißtreibenden Stunde in meiner Garage ist die Verbindung zwischen Pumpe und Schlauch mit Kabelbinder festgezurrt, die Pumpe tut brav, was sie soll und Thomasz radelt davon, um den Rest des sonnigen Samstagnachmittags zu genießen. Außer einem Espresso wünscht er keinen Dank.

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An der Ost-Grenze der EU

Zur Grenze zwischen Polen und Russland ist es nur ein Spaziergang: Hier endet die Europäische Union. Schilder warnen: Militärisches Sperrgebiet, wenn Sie hier weiter gehen, verlassen sie polnisches Territorium. Tun wir nicht. Laufen am Zaun entlang Richtung Strand und machen Picknick. Das Maschendrahtzäunchen sieht harmlos aus, doch Andi hatte gewarnt: Dahinter kommen dann die russischen Grenzsoldaten. Eigentlich wollte ich ja mit einem Acht-Tages-Visum rüber auf die russische Seite, auf die Kurische Nehrung und nach Kaliningrad. Normalerweise kein Problem, aber derzeit wegen Corona geschlossen.

Um nicht auf den einzigen Ostsee-Durchstich der Nehrung angewiesen zu sein, der seit 1946 auf dem russischen Teil der Landzunge liegt, baut Polen eine eigene Verbindung. Auf dem Hinweg sind wir an der riesigen Baustelle des Kanals vorbei gekommen. Welche Folgen er für die Nehrung haben wird, für Strömungsverhalten und Sandablagerungen, wisse niemand, kritisieren Umweltschützer. Es gehe eigentlich gar nicht um den Ostsee-Zugang, wettern Kritiker, sondern wie bei der aktuellen PiS-Regierung so oft, auch und vor allem um den polnischen Nationalstolz.

Ich wandere die paar hundert Meter durch den kühlen Küstenwald zur Haff-Seite der Nehrung. Alles ist friedlich hier im Juli 2021: Schilf raschelt, Enten quaken, um eine Feuerstelle liegen leere Bierdosen, Chipstüten und Kippen: Reste einer Party. Doch im Januar 1945 war das Frische Haff Schauplatz der verzweifelten Flucht zehntausender alter Männer, Frauen und Kinder aus Ostpreußen in den Westen.

Vor der heranrückenden Roten Armee gab es nur noch die lebensgefährliche Route über das vereiste Haff, denn der Landweg war schon abgeriegelt. Pferdewagen brachen durchs Eis, Tiefflieger machten Jagd auf die Flüchtlinge, Tausende starben bei dem Versuch, Danzig zu erreichen. Und heute ist es eine Ferienidylle. Gedenken und Erinnerung gibt es kaum, keine Tafeln, keine Hinweisschilder. Zumindest habe ich keine gesehen.

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