Nach drei Wochen in den Olivenhainen um Sannicola, zwischen Trulli und Trockenmauern, fehlt mir etwas, trotz morgendlichen Vogelgezwitschers und frühlingshaft blühender Blümchen: Das Meer. In der Facebook-Gruppe „Stellplatz gegen Hand“ finde ich Claudia Litti: Sie und ihr Mann Marco suchen Hilfe in ihrem riesigen Garten ein paar Kilometer landeinwärts von Marina di Mancaversa.
Dafür bieten sie nicht nur einen sicheren Stellplatz, sondern mit dazu einen kleinen, gemütlichen Bungalow: Ein maritim eingerichteter ehemaliger Pferdestall auf einem ummauerten Grundstück, wenige hundert Meter vom felsigen Strand entfernt. Das Häuschen liegt noch dazu unmittelbar an einem Naturschutzgebiet mit dem wohlklingenden Namen „Parco naturale regionale Isola di Sant’Andrea e litorale di Punta Pizzo“. Mit Heizung, Waschmaschine und WLAN: Perfekt. „Libertu“ hat erst einmal Pause.
Wer Claudias Häuschen mieten möchte schreibe ihr eine Mail: claudia.salento@gmail.com
Claudia ist eine alte Häsin in diesem tollen Tauschhandel und schlägt vor, dass ich fünf Tage Corona-Quarantäne halte und in der Zeit schon mal anfange, das üppig bewachsene Grundstück unten rund um den Bungalow ein bisschen winterfest zu machen und die Casseta von innen zu streichen. Ihre über 80jährige Mutter wohnt nämlich bei ihnen oben mit im Haus: Risikogruppe.
Gesagt getan: Ich bin zwar keine Gartenfachkraft, aber Kletterranken ausreißen und Sträucher runter schneiden, das kriege ich hin. Fürs Anstreichen brauche ich lange, weil das Häuschen ja nicht leergeräumt ist, aber irgendwann ist auch das geschafft.
Zu Claudia und Marco sind es drei Kilometer mit dem Fahrrad. Während es Dezember und mir die Umgebung immer vertrauter wird, gewinnen die Tage eine feste Struktur: Morgens mit dem Hund ans Meer, immer wieder aufs Neue freue ich mich über den herrlichen Salzgeruch und die karibischen Farben. Vormittags Radioarbeit, Mittagessen kochen, nach einem Käffchen aufs Bici und zum Unkrautjäten und Bäume beschneiden in Claudias und Marcos Garten radeln.
Um 16:00 wieder runter ans Meer rollen, Sonnenuntergang angucken, Feierabend.
Nachts höre ich das Meer rauschen, früh am Morgen manchmal die Fischer von Gallipoli in ihren Booten vorbei tuckern. Immer schon habe ich mir gewünscht, mal am Meer zu wohnen. Pizzo besteht nur aus ein paar Ferienhäusern auf riesigen Grundstücken, sie sind jetzt verlassen, verriegelt und verrammelt. Das Virus müsste sich schon sehr anstrengen, um mich hier zu finden, kurz vor dem „Ende der Welt“, dem Finis Terrae in Santa Maria de Leuca.
Am Wochenende knallen die Schüsse der Vogeljäger, trotzdem gehen wir Pilze suchen, in der mit Macchia mediterranea bewachsenen Dünenlandschaft am Strand von Pizzo.
Marco ist ein begnadeter Koch und hat ein Faible für Wildkräuter. Er zeigt mir wilde Rucola auf den Feldern und Wiesen, Rosmarin und Thymian, die im Parco regionale wuchern wie Unkraut.
Derweil organisiert Italien die über Maskenpflicht und Ausgangssperre hinaus gehenden Corina-Beschränkungen in den einzelnen Provinzen nach einem Ampelsystem. Es orientiert sich an Inzidenzen und Intensivbettenkapazitäten und funktioniert vor dem Auftreten der Mutationen ganz gut. Die Infektions-Zahlen sinken, Apulien wird von der orangenen zur gelben Zone und Claudia und ich können samstags zu Ausflügen starten.
Otranto, Gallipoli, Galatina und das barocke Lecce: Die Highlights dieser Halbinsel, des 100 Kilometer langen und 40 Kilometer breiten „Absatzes“ des italienischen Stiefels. Sonntags kocht Marco mega lecker und wir wachsen zu einer Corona-Crew zusammen. Ich bedaure es kein bisschen mehr, nicht auf Sizilien zu überwintern. Der Salento und seine trotz aller Unbill (Seuchen, Arbeitsplatzmangel, kaputte Straßen, teures Benzin) herzlichen Bewohner wachsen mir jeden Tag mehr ans Herz.
Kreuz und quer düsen wir durch dieses ehemalige Armenhaus Italiens, Jahrhunderte lang von fremden Mächten beherrscht, die rote Erde von der Sonne verbrannt, mit hunderten Kilometern Traumküste, umspült vom glasklaren, azurblauen Ionischen Meer.
Die Häuser sind hier weiß gekalkt und haben Flachdächer wie in Griechenland, Korfu ist nur einen Katzensprung entfernt, und an klaren Tagen sie man die Berge Albaniens auf der anderen Seite der Adria. Der Salento: Kreuzweg der Kulturen, Italiens Tor nach Osten.
Dank Claudias Übersetzungen und mit Mikrofonangel und Mascherina kommen wir überall spontan mit Menschen ins Gespräch. Begeistert und geradezu poetisch erzählen sie von ihrer Heimat und den Gefühlen, die sie mit dem Salento verbinden.
Kein Vergleich zu den wortkargen Brandenburgern, die ich Jahre lang zum Jagen tragen musste: Salentiner erzählen gern, und sie erzählen gut. Von den Problemen ihrer schönen Heimat allerdings weniger gern: Olivensterben, Müllverklappung in der Landschaft, Küstenerosion.
Die Woche um Weihnachten verbringe ich auf dem Campingplatz La Masseria bei Gallipoli, wo Tereza und Danny stehen, für eine Reportage über deutsche Überwinterer in Apulien.https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/01/10/ueberwintern_in_apulien_dlf_20210110_1216_57735522.mp3
Und dann ist plötzlich Silvester und das verrückte Corona-Jahr 2020 geht zu Ende. Es brachte meinen Aufbruch ins Van-Life, sogar gleich zwei Mal. Vier abwechslungs- und erkenntnisreiche Monate davon habe ich in bella Italia verbracht, jeden Tag dankbar, dass ich trotz der Seuche hier sein kann.
Am letzten Tag des Jahres übernachte ich im Van, bei Claudia und Marco in der Einfahrt (Ausgangssperre! Ganz Italien ist über Weihnachten und Silvester dunkelrot). Am nächsten Morgen scheint die Sonne. Das Leben kann so weiter gehen.
Hallo Vanja, nun habe ich doch deine ersten Monate im Van gar nicht mitbekommen, weil ich deinen Blog völlig aus den Augen verloren habe. Ich werde alles nachlesen und gelobe für die Zukunft Besserung!
Die Überwinterung klingt jedenfalls richtig gut. Ich hoffe es geht dir weiterhin gut und freue mich schon auf weitere Beiträge. LG aus der Heimat von Corinna (die vom ADAC Training)
Liebe Corinna, Du treue Seele: Ich bin ja auch Monate lang nicht oder kaum zum bloggen gekommen, weil so viel anderes los war. Aber mittlerweile hole ich fleißig auf. Wenn ich so weiter mache, bin ich bald in der Gegenwart angekommen… Herzliche Grüße vom Gargano, Vanja
Liebe Vanja, mir macht Dein Block wirklich Spaß … Gerade, wo wir hier alle missmutig in die dritte Welle schlittern (die 36. erwarten wir 2025) ist es wunderschön zu sehen, dass es „da draußen“ trotz Lock-, Shut- und allgemeinem Down noch Sonne und Meer gibt. Vielen Dank für’s teilen und die schönen Fotos. Und natürlich viele Grüße – auch an den unbekannten Hund an Deiner Seite ;-))
Liebe Christina, das freut mich. Covid als Dauerthema und immer wieder Lockdowns gibt es hier auch, aber man geht angenehm pragmatisch und ohne großes Genöle damit um, das erleichtert die Sache.
Die Fellnase ist Kinu: eine Mischung aus Jagd- und Schäferhund aus dem portugiesischen Tierschutz. Sensibel, klug, verfressen, bellt so gut wie nie, seit 2015 ein prima Reisegefährte.
Herzlichen Gruß vom Gargano, Vanja