Mehr als Sonne und Strand: Kunst und Kultur im Salento

5. Januar 2021 | Italien

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Claudia Litti ist Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache am Gymnasium in Casarano.  Im Sommer arbeitet sie aber auch als Fremdenführerin. Als mich der schöne Auftrag ereilt, für den Deutschlandfunk eine 15minütige Reportage über den Salento zu machen, zeigt sie mir nach und nach, immer samstags, die kulturellen Höhepunkte des Salento, der Heimat ihres italienischen Vaters, ihres Mannes Marco und seit Jahrzehnten auch die ihrige. Denn der Absatz des italienischen Stiefels bietet viel mehr als Sonne und Strand:

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Otranto zum Beispiel, ein gemütliches, überschaubares Hafenstädtchen. Weiß gekalkte Würfelhäuser verraten den griechischen Einfluss. In den schmalen Gassen haben die Ragazzi ihre Vespas abgestellt, Wäsche hängt an quer über die Straße gespannten Leinen. Otranto ist einer der östlichsten Orte in ganz Italien. Von hier bis zur albanischen Küste sind es nur knapp 40 Seemeilen, nach Korfu kann man mit dem Schlauboot fahren. Vor einigen hundert Jahren haben die Türken den Salento immer wieder überfallen, daher die vielen Wach- und Wehrtürme an der Küste, die „Torre“. In Otranto ruhen die Schädel von 800 Märtyrern in der Kathedrale di Santa Maria Annunziata: Die Männer sind angeblich lieber gestorben, als sich zum Islam zu bekennen.

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Gedenken heute: Diese Schiffs-Skulptur in Otranto erinnert an die vielen toten Flüchtlinge im Mittelmeer

Die Kathedrale birgt aber auch eines der Wunder frühmittelalterlicher Kunst und Kultur: Ein riesiges Bodenmosaik aus dem 12. Jahrhundert, mehr als 2.000 Quadratmeter groß, geschaffen aus Millionen farbiger Steinchen.

Sie erzählen in Form eines Lebensbaumes die Legenden des Christentums, berichten aber auch über Sagen und Mythen aus anderen Kulturkreisen.

Schöpfer dieses grandiosen Bilderbuches mit hunderten einzelner Geschichten war ein Mönch: Pantaleone aus dem nahen Kloster Santa Maria di Casole, es war damals ein Hort der Gelehrsamkeit und der Abschriften-Kunst und fand Eingang in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“.

LECCE

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Die sympathische Provinzhauptstadt Lecce mit ihrem vor Corona reichen Kulturleben und auffällig vielen Fahrradfahrern hat einem Baustil ihren Namen gegeben: Dem Lecceser Barock, gebaut aus dem cremeweißen Kalksandstein der Region. Sein Lieblingsort sei die Kirche Santa Croce, erzählt uns Marco Spanno, 41, der seine dreijährige Tochter Gaia im Kinderwagen über die zentrale Piazza Aronzo schiebt. Und zwar bei Sonnenuntergang. Denn dann spiele das rotglühende Licht in den zahllosen Winkeln und Facetten der Fassade.

Florenz des Südens nennt Claudia Lecce, mit seinen 53 Kirchen, nur Rom habe mehr. Ich bin kein großer Fan des Barock, der Stil ist mir normaler Weise zu überladen und ganze Flottillen von Putten können mich nicht entzücken. Aber in Lecce ist das anders: Die schiere Fülle der Sandstein-Bauten macht die Altstadt sehr hell. Es ist, als laufe man durch ein riesiges Baiser.

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Die Lecceser sind stilbewusst und anspruchsvoll: Früher kamen neue Waren erst einmal in Lecce auf den Markt. Wenn die Damen der Stadt zufrieden waren, gingen die Händler damit auch nach Rom, Mailand und Venedig, erzählt Claudia.

Natürlich hängen die Lecceser auch fanatisch am Telefonino – wie die allermeisten Italiener.

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Luciano Faggiano stellt die Geschichte Lecces in seinem Privatmuseum aus

GALATINA

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Der Wahnsinn, oder? Die Fresken der Basilika Santa Katharina in Galatina

20 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Lecce liegt Galatina: 20.000 Einwohner, eine schön sanierte Altstadt, schicke Läden, elegante, weiträumige Piazze. Galatina lebt vom Weinanbau, vor allem der Rebsorte Negroamaro, die gute, kräftige Rotweine erbringt.

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In der Basilika Santa Katharina in Alessandria, einer der Schönsten Apuliens, bietet sich ein Anblick, der auch diejenigen überwältigt, die sich für mittelalterliche Geschichte und Kirchenarchitektur sonst nicht interessieren: Durch die Renaissance-Rosette dringt Tageslicht, fällt auf eine Überfülle von Fresken.

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Im 15. Jahrhundert wurde das ganze Kirchenschiff ausgemalt, mit Blattgold, Silber und Lapislazuli-Staub. Die Meister kamen aus Neapel und hatten wohl ihrerseits bei Giotto in der Toskana gelernt.

Auf einer Kirchenbank sitzt Davide Mussardo, in den Anblick versunken. Der 32Jährige ist eines der vielen Landeskinder, die den Salento verlassen haben, weil sie hier keinen adäquaten Job finden konnten. Davide ist Jurist, arbeitet in der Qualitätskontrolle der Pharmaindustrie in Brüssel, wegen Corona ist er nach Hause zurückgekehrt. Er komme immer in die Basilika, wenn er in der Gegend sei, erzählt er. Jedes Mal wirkten die Fresken anders. „Man muss hier gewesen sein“. Da hat er Recht.

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