Gemächlich geht es weiter nach Nordwesten, auf der Höhe, aber weit entfernt vom Trubel um Lyon. Schließlich gelange ich an einen äußerst merkwürdigen Stellplatz: Im netten Winzerörtchen Juliénas möchte die örtliche Kooperative damit trinkselige Camper anlocken, aber den Stellplatz hat ganz klar jemand entworfen, der noch nie im Leben ein Wohnmobil gefahren hat: Er ist kreisrund und viel zu eng.
Ich stelle mich auf den großen Parkplatz daneben und schildere den netten Damen im puppenstubenhaft kleinen Rathaus das Problem. Auf dem Parkplatz könnte ich auch gerne bleiben, meinen sie. Die nachmittägliche Hunderunde drehe ich durch die Weinreben, die Dörfchen umgeben: Juliénas ist eines der zehn Crus des Beaujolais.
Der Schwenk nach Westen hat zwei Gründe: Erstens ist mein Ziel diesmal nicht Potsdam, sondern erst einmal Frechen bei Köln, um das neue Wohnmobil abzuholen. Das habe ich im Dezember ausgesucht und angezahlt. Zweitens liegt auf dieser Route ein Ort, dem ich schon seit Tagen gespannt entgegenblicke: Cluny mit seiner gewaltigen, weltberühmten Abtei.
Am Rand der hübschen Altstadt kann man gegen Gebühr parken. Ich schlendere gemütlich durch die Straßen Richtung Abtei, Kinu bleit im Van: Sein historisches und architektonisches Interesse bleibt trotz zahlreicher Angebote leider äußerst marginal. Er will immer nur alles anpinkeln.
In einem der vielen für Frankreich so typischen hübschen kleinen Geschäfte verwickelt mich der Inhaber in eine Diskussion über eine der krudesten und übelsten Verschwörungstheorien, die ich bislang gehört habe. Und das will etwas heißen. Über seinen damit verbundenen Antisemitismus (die Juden haben angeblich Covid erfunden, weil sie die Weltherrschaft anstreben) geraten wir heftig in Streit, ich mache, das ich raus komme.
Erholung von dem Schwachsinn bietet die tolle Ausstellung im Kloster-Museum, inklusive eines aufwändig produzierten Films, der einen virtuellen Rundgang in 3-D durch die technisch wieder auferstandene Riesenkirche von 1330 zeigt: Sie war zu ihrer Zeit die größte christliche Kirche der Menschheit. Das blieb sie auch, bis zum Bau des Petersdoms in Rom – fast 300 Jahre später. 180 Meter war sie lang und 30 Meter hoch.
Der Orden von Cluny herrschte auf dem Höhepunkt seiner Macht über 1.400 Klöster, was den Äbten unglaubliche Reichtümer und entsprechenden Einfluss einbrachte.
Nach der französischen Revolution wurde die Kirche gründlich zerstört und als Steinbruch verwendet. Die Reste sind aber immer noch sehr beeindruckend.
Weil man auf dem Parkplatz nicht übernachten kann, und dort auch ziemliches Gedränge herrscht, fahre ich noch ein kleines Stückchen weiter ins Herz Frankreichs, bis Cormatin. Dort will ich mir am nächsten Morgen das Wasserschloss angucken. Eine Einbuchtung am Feldrand bietet Platz und Ruhe: Ein paar Fahrradfahrer kommen vorbei, ein Jogger, sonst ist hier nichts los.
Nebenan weiden weiße Charolais-Rinder des Burgund mit ihren kleinen Kälbchen, dazwischen sucht ein Storch nach Beute. Wie die Bressehühner sind die Rinder typisch für die landwirtschaftlich geprägte Bourgogne.
Am nächsten Morgen muss ich feststellen, dass das Renaissance-Schloss Cormatin für Besucher am 1. April öffnet. Das ist leider erst morgen. Schade.
Das Wetter wird schlechter, die Temperatur sinkt von angenehmen 15 auf ungemütliche zehn Grad. Auf Nebensträßchen geht es gemächlich durch Winzer-Dörfchen, alle sehr niedlich und schlumpfig, vor allem das berühmte Winzer-Städtchen Meursault sah beim Durchfahren trotz des trüben Wetters sehr schön aus. Die Weinberge sind klein, zum Teil winzig, und sie werden seit Jahrhunderten von den Familien gehegt und gepflegt. Entsprechend ist der Ruf der Weine: Die Rebengärten des Burgund gehören seit 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Während die Rotweine aus den Côte de Nuits und Côte de Beaune ausschließlich aus der Traubensorte Pinot Noir gekeltert werden, entstehen die weißen Burgunderweine meist aus Chardonnay. Der berühmteste und teuerste weiße Burgunder ist der Montrachet.
Ich lande in Nantoux, beim Winzer Arnaud Bertillon. Ich parke hinter seinem Schuppen und laufe vor zum Haus, doch niemand ist da. In der App von France Passion ist die Telefonnummer des Gastgebers gespeichert: Arnaud ist im Weinberg, wir verabreden uns für 18 Uhr zur Degustation.
Unweit von Nantoux gibt es ein Weingut, das auch Camper empfängt und Mitglied bei France Passion ist: Sie machen einen Pommeran Grand Cru Premier. Dort bin ich wohlweislich nicht hin. Bin ja nicht Krösus im Gegenteil: Ich musste heute für 2,13 € Diesel tanken.
Arnaud, Juniorchef der Domaine Bertillon Père et Fils, erweist sich als sehr sympathisch und des Englischen fließend mächtig. Wir diskutieren zwei Stunden lang über Gott und die Welt und die französische Politik. In Frankreich stehen im April Präsidentschaftswahlen an. Arnaud sagt, Präsident Emmanuel Macron sei noch das kleinste Übel, die Rechtskandidaten seien Faschisten reinsten Wassers. Besonders der Rechtsradikale Éric Zemmour, aber auch Marine Le Pen. Seine Weine schmecken mir auch, ich nehme zwei Flaschen mit.
Von Nantoux geht es ein Stückchen nach Osten, denn die Reiseliteratur empfiehlt das Städtchen Beaune: Die Herzöge von Burgund hatten im Mittelalter ihren Sitz zwar im nahen Dijon, aber hier hielten sie Hof, was man Beaune auch ansieht. In der Kirche Notre-Dame haben sie berühmte Wandteppiche aus dem 16. Jahrhundert, die waren leider für eine Ausstellung ausgeliehen.
Stadtpaläste, verwinkelte Gassen, die zarten Pastellfarben, die ich zuletzt in der Provence gesehen habe und jede Menge Weinhandlungen. Mit teils stolzen Preisen für die edlen Burgunder-Tropfen. Das Städtchen hat sich ganz und gar dem Genuss des Weines und des Essens verschrieben. Es gibt zahllose Probierkeller, Restaurants und Bistros. Der WoMo-Selllplatz verströmt zwar den Charme eines Parkplatzes, ist dafür aber gratis.
Bekannt ist aber vor allem das Hotel Dieu: ein riesiges Krankenhaus für die Armen, das Nicolas Rolin, der Kanzler des Herzogs von Burgund, 1443 gestiftet hat. Der große Krankensaal wurde bis in die 1970er Jahre als solcher genutzt.
Heute dient das Hospital teils als Altersheim und kann als Museum besichtigt werden.
Stifter Rolin hatte das Hospiz reich ausgestattet, auch mit Kunstwerken. Es sollte das schönste Krankenhaus Frankreichs sein. In seinem Auftrag schuf der niederländische Maler Rogier van der Weyden einen herrlichen Flügelaltar: „Das jüngste Gericht“ hängt heute noch in der Kapelle des Krankenhauses.
Finanziert wird das ehemalige Hospital bis heute aus den Erträgen von Weinbergen in erstklassiger Lage der Cote-d’Or, darunter auch Grand Cru-Lagen: Einmal im Jahr wird eine Auktion der edlen Tropfen „Hospices de Beaune“ organisiert, und jeder Weinhändler in Frankreich, der auf sich hält, sieht zu, ein Fässchen zu ergattern.
Wenn wir schon bei Gaumenfreuden sind: In Nuits-Saint-Georges mache ich im „Le Cassissium“ eine Führung mit und entdecke dabei diesen leckeren Brombeer-Likör, mit dem ich vorher rein gar nichts am Hut hatte. Nach klassischem Rezept gebraut, auf Eis oder Jogurt: Ein Gedicht!
Ich mag zwar keinen Senf, aber Dijon als Hauptstadt der Bourgogne muss natürlich trotzdem sein. Am Stadtrand werfe ich auf einem netten und mit zehn Euro günstigem Campingplatz am Lac Kir Anker. Zwei geschlagene Tage lang muss ich mich mit den Belegen für die Umsatzsteuer fürs erste Quartal 2022 herumplagen. Zwischendurch schöpfe ich bei Hundespaziergängen am See frische (! nur vier Grad, bibber) Luft. Die Radtour einmal drum herum, vielleicht vier Kilometer, schafft Kinu kaum noch, zuletzt muss ich schieben. Er wird wirklich alt.
Zum ersten Mal ist mir das ja vor fast genau einem Jahr am Castel del Monte in Apulien aufgefallen. Als ihn die dort ansässigen wilden Hunde ungestraft verbellt und gezaust haben, worauf er schreiend und weinend in den Van zurückeilte, statt sich zu behaupten, wie es früher selbstverständlich war. Ach je, mein armes Hundchen, das Alter ist wahrhaftig ein Massaker…
Nach zwei Tagen Buchhaltung radele ich dann endlich durch die Altstadt: Paläste, Kirchen, Villen, elegante Plätze, schmiedeeiserne Zäune, Tore, Balkone und Straßenlampen, Säulen, Stuck, Fachwerk und farbige Dachziegel, wuchtige Toren und Türen – was für eine Pracht, trés jolie! Der ehemalige riesige Palast der Herzöge von Burgund dient heute als Rathaus und Kunstmuseum.
An der Kathedrale Notre-Dame drohen Ungeheuer und Fratzen als Wasserspeier.
Und die Markthalle mit ihren riesigen Glasfenstern stammt aus dem Jahr 1886.
Dijon-Senf ist übrigens keine geschützte Herkunftsbezeichnung: In Zeiten der Globalisierung kommen die Zutaten meist aus Kanada und der Lebensmittel-Konzern Unilever hat 2009 die letzte von einstmals 40 historischen Senf-Fabriken in der Stadt geschlossen. Seitdem wird in Dijon kein Dijon-Senf mehr produziert. Dabei sollen das Geheimnis von dessen besonderer Qualität vor allem die zur Herstellung verwendeten guten Burgunder-Weine gewesen sein: Tja…
Die Bourgogne: Das kulinarische Herz Frankreichs, grün, lieblich-ländlich, dem guten Essen und berühmten Weinen verpflichtet, ein Ziel für Gourmets und Kulturinteressierte. Und nur 4,5 Stunden von Stuttgart entfernt….
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