Von Vigo aus fahre ich am ersten Tag in Portugal gar nicht so weit: In der Stellplatz-App P4N habe ich nämlich an der Küste Nordportugals eines der seltenen Trecker-Symbole erspäht: Symbol für eine Unterkunft beim Bauern. Das ist Hugo nicht wirklich, aber gemeinsam mit seinem Partner Alex (aus Südafrika) hat er im Dorf Carreco unweit der spanischen Grenze ein kleines Paradies geschaffen: Eine Albergo für Pilger und andere Reisende, mit Gemeinschaftsküche, schönen Bädern, Hängematten, einer Wiese für ein halbes Dutzend Wohnmobile, Pferden, Schafen, Hunden und vor allem einem tollen Spirit.
Wohlwollendes Miteinander liegt an diesem friedlichen Ort in der Luft. Zwei junge Franzosen sind hier, die tapfer in ihrem PKW übernachten; die erste allein reisende Frau seit Ewigkeiten (Hannah, aus Großbritannien), Belgier, Spanier, Niederländer. Mit letzterem streite ich mich über Corona, denn er ist ein Impfgegner, aber trotz heftiger Diskussion können wir am nächsten Tag noch miteinander sprechen.
Hugo selbst war früher Sportlehrer. Er hat die Herberge am Rand des Jakobsweges in seinem Elternhaus gegründet. Viele bleiben wegen der schönen Atmosphäre länger als geplant, manche gar für eine Woche hängen und kommen immer wieder. Ich bleibe auch zwei Nächte statt wie geplant eine. Das Dorf ist nett, den Hang hoch ziehen sich Wanderpfade durch Eukalyptuswälder.
Diese, wie im nordpanischen Galicien auch künstlich angepflanzt, sind allerdings eine Monokultur-Plage: Sie verdrängen alle anderen Bäume, brauchen unheimlich viel Wasser und brennen im Sommer wie Zunder.
Bei einer meiner Hunderunden treffe ich eine deutsche Pilgerin. Sie hat türkische Wurzeln und sei darum ein seltenes Exemplar, erzählt sie mir. Zuhause hat sie Mann und Kinder, der Mann sei ein Wandermuffel, die Kinder schon groß. Regelmäßig nimmt sie sich diese Auszeiten, war auch schon einmal 800 Kilometer zu Fuß und mit Rucksack unterwegs, sie brauche das. Diesmal läuft sie von Santiago nach Porto. Wir laufen nur ein paar wenige Kilometer gemeinsam, doch haben sofort einen Draht und sprechen sehr offen über unsere Sicht aufs Leben. Ich versuche sie in Hugos Albergo zu locken, dann hätten wir bestimmt bis in die Nacht gequatscht, aber sie will noch ein paar Kilometer weiter. Schade. Das passiert oft auf Reisen: Weil wir immer wissen, dass diese Begegnungen zeitlich begrenzt sind, hält sich kaum jemand mit Smalltalk auf.
Am Morgen meines Aufbruchs gibt Hugo mir noch ein Interview. Portugiesen seien Fremden gegenüber offener als Spanier, weil Portugal viel kleiner sei als das große Nachbarland, meint er. Die Stimmung in der portugiesischen Gesellschaft sei trotz Corona friedlich, erzählt er. So habe die rechte Opposition den strengen Lockdown der linken Regierung im vergangenen Corona-Jahr bedingungslos mitgetragen und unterstützt. Es gebe im kleinen Portugal keine unversöhnliche Lagerbildung, von den sozialen Medien mal abgesehen.
Die meisten Portugiesen seien entspannt, auch, weil es ihnen noch nie so gut gegangen sei wie heute, auch Dank der Mitgliedschaft in der EU. Ja, viele verdienten wenig und die Rentner müssten mit ein paar hundert Euro im Monat auskommen, „aber sie haben ein soziales Netz“, meint Hugo: So würden Kleinbusse noch im hinterletzten Bergdorf morgens die Senioren und Seniorinnen einsammeln und in Sozialzentren bringen. Dort hätten sie Gesellschaft, könnten Karten spielen und sich unterhalten und bekämen Mittagessen. Abends geht es dann wieder nach Hause. Wenn eine Kommune diesen Bringedienst nicht gestemmt bekomme, würde eine eigens dafür gegründete Abteilung der Polizei einspringen, so Hugo.
Gefragt, was in Portugal schiefläuft, erwähnt er den zu großen Einfluss von Lobbyisten auf die Regierung. Und ein Gesetz, dass es möglich macht, Lehrer ohne Mitspracherecht an eine jede Schule des Landes zu versetzen. Von Lisboa in den Alentejo, so sei keine Lebensplanung möglich. Deswegen habe er auch gekündigt und stattdessen die Herberge eröffnet.
An seiner „Casa do Sardoa“ liebe er die Gäste aus aller Herren Länder: „Ich muss nicht reisen, die ganze Welt kommt zu mir“, meint Hugo lächelnd. Er markiert mir noch mit Kuli auf einer Karte seine Lieblingsorte im Land, der niederländische Impfmuffel winkt mich aus der engen Einfahrt, dann geht es weiter, die Küste hinunter nach Süden. Aber auch ich komme gerne wieder.
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