Ciao Bella: Schluss-Kapitel, in dem die Protagonistin sich auf den letzten Metern in Italien fast festfährt

17. April 2021 | Italien, "Vanlife" - Licht und Schatten, Begegnungen

Beladen mit kostbaren Käsevorräten für Freunde und Familie geht es weiter zum nächsten Ort der Verführung: Das kleine Weingut „La Bandina“ ist auch Mitglied bei „Agricamper“ und keine halbe Stunde entfernt. Ich treffe mich dort mit Anne, die mit ihrem kleinen Camper ein paar Wochen Auszeit von ihrer PR-Firma in Süddeutschland genommen hat und jetzt auch auf dem Heimweg ist. Anne und ich haben mal einen lustigen Abend im Salento verbracht, das wollen wir jetzt wiederholen. Unsere Camper stehen nebeneinander auf dem kleinen Parkplatz der Winzerfamilie. Abends zeigt uns „Bandina“-Chefin Cinzia Giacopinelli den Keller und zelebriert für uns eine Weinprobe. Wir kaufen ein bisschen ein und setzen die Probe dann bei Anne in ihrem gemütlichen Mini-Camper fort.

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Mädelsabend auf „La Bandina“ mit Anne (links) und Winzerin Cinzia (Mitte)

http://Labandinavino.it

Am nächsten Morgen regnet es in Strömen und der Nebel wallt. Anne bricht früh auf, ich drehe noch eine kurze, nasse Runde mit dem Hund und starte dann auch, weiter nach Norden. Doch schon an der ersten Wegkreuzung kommt es zu einem fatalen Missverständnis zwischen dem Google-Mops und mir: „Links abbiegen.“ Der Weg ist verdammt schmal, aber nun ja, so etwas schlägt der Mops öfter mal vor, nicht ahnend, dass ich keinen Smart sondern einen Lieferwagen fahre. Bislang ist das immer gut gegangen.

Also biege ich eine zu früh links ab. Der Weg wird immer schmaler und steiler, bergab geht es in den Wald, eine Böschung hinunter, bis klar wird, das ist keine Straße für einen 3,5-Tonner, sondern ein verdammter Wanderweg. An einer steilen Kurve muss ich wenden, das ist die letzte Chance, danach wird der Weg zum Pfad. Eine Kette versperrt den Seitenweg, in den hinein ich wenden muss, gottseidank kann man sie aushängen, sonst säße ich immer noch dort unten.

Halsbrecherisches Wendemanöver im strömenden Regen mitten im Wald, mir zittern die Knie und vom Platz unter dem Tisch hinter mir spüre ich die bohrenden Blicke von Kinu, der meine Anspannung spürt und mucksmäuschenstill bleibt. Endlich gewendet, finden die Vorderräder keinen Halt in dem matschigen Laub, das den Weg bedeckt. Es geht nun steil aufwärts, doch der Peugeot Boxer hat Vorderradantrieb, wie blöderweise fast alle Wohnmobile. Das meiste Gewicht ist aber hinten, die Räder drehen durch, die Matsche fliegt meterweit nach allen Seiten, der Van rutscht zurück.

Mir schlägt das Herz bis zum Halse. Doch gottseidank werde ich in solchen Situationen nicht panisch, sondern eiskalt. Ich überlege kurz, die Wendeprozedur zu wiederholen und rückwärts den Hang hoch zu krauchen. Zu eng, ich entscheide mich doch für vorwärts und zwar halb an der Böschung entlang in gefährlicher Schieflage. Aber so bekommt wenigstens eines der Vorderräder Grip und mit gefühlvollem Gasfuß entkommt „Libertu“ aus der Falle. Das war knapp. Selten war ich so froh, wieder Asphalt unter den Rädern zu haben.

Für heute war das genug Abenteuer. Ich nehme die mautpflichtige Autobahn nach Norden – und brauche bis Mailand, um mich zu beruhigen. An einer Raststätte werde ich das Grauwasser los und sehe Anne, wie sie nach einer Frühstückspause gerade davonfährt. Verrückter Zufall. Nicht weit hinter Mailand, an Bergamo vorbei, erreiche ich das Ziel des Tages: Palazzago, das Dorf in dem Karin Wagner wohnt und wo meine Italienreise im vergangenen September begonnen hat. Karin wartet mit einer köstlichen Lasagne auf, die richtige Nervennahrung nach dem Stress am Morgen!

Ich stehe wie gehabt zwei Nächte auf einem Parkplatz im Bergdorf Palazzago, wir trinken Kaffee und machen Spaziergänge rund ums Dorf, dann heißt es auch hier Abschied nehmen. Diesmal ist es nicht weit: Nach einer knappen Stunde fahre ich noch einmal auf den Campingplatz Class am Lago di Pusiano bei Como. Auch hier war ich am Beginn meiner Italienreise vor sieben Monaten schon einmal.

Denn ich will jetzt nichts Neues mehr erleben, sondern Bilanz ziehen. Diese erste Wintertour war ein Versuchsballon: Ist das so genannte Vanlife das Richtige für mich? Oder sitze ich in meinem engen Sechs-Meter-Van, mutterseelenallein in der Fremde, der Winter-Regen prasselt aufs Blechdach, mit fällt die Decke auf den Kopf und ich frage, ich, was das alles eigentlich soll?

Nein, so war es nicht. Ich habe FreundInnen und Familie manchmal vermisst, mich aber nie einsam gefühlt. Auch dank der Menschen, die ich unterwegs kennen gelernt habe. Manche Stellplätze waren vermüllt, viele Schlaglöcher sehr tief und die Einbrecher hätte ich nicht gebraucht. Das Leben im Wohnmobil ist aufwändig und oft genug mühsam: Wasser suchen, Platz zum Übernachten suchen, Waschmaschine suchen, alles dauert. Diesel ist teuer und wird immer teurer. Einige wenige Straßen haben mir Angst gemacht, weil sie steil, eng oder beides waren.

Doch ich habe mich noch nie so frei gefühlt, so im Einklang mit mir selbst. Unterwegs sein, Neues kennen lernen: das entspricht meinem Wesen. Ich will die Welt sehen, das war schon immer so. Und jetzt habe ich Zeit dafür, Wochen, Monate lang kann ich ein fremdes Land erkunden, mich auf seine Gerüche, Farben und Sprache einlassen, statt in zwei, drei Wochen Urlaub herum zu hetzen. Was für ein Privileg!

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Und für den Start ins neue Leben hätte ich mir kein besseres Land aussuchen können: Die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Italiener, ihr entspannter Umgang mit Regeln und Vorschriften („tranquila!“), die bezaubernde Schönheit des Landes, das leckere Essen, das gute Wetter, die Tatsache, dass im entscheidenden Augenblick nie Gegenverkehr kam, wenn keiner kommen durfte – mille grazie Italia! Ciao Bella.

Drei Tage hänge ich noch am Lago di Pusiano herum, arbeite, wasche Wäsche, kaufe bergeweise Spezereien als Mitbringsel für die Daheimgebliebenen ein (Trüffelnudelsoße, Olivenöl, Käse, Knabberzeugs), schiebe den Aufbruch hinaus. Denn ich mag mich nicht trennen, der Abschied von Italien fällt mir schwer. Wäre ich auf der Suche nach einer neuen Heimat – wäre dies hier vielleicht ein Land für mich. Doch am Vormittag des 17. April ist es dann endgültig so weit: Ich fahre nach Como, dann weiter nach Norden und bin plötzlich, viel schneller als gedacht – über der Grenze in der Schweiz.

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