Andalusiens maurisches Erbe: Córdoba

12. Februar 2022 | Begegnungen, Spanien

Kaum in Spanien angekommen, erfüllen sich die Klischees: Der mindestens anderthalb Kilometer entfernte Nachbar, ein kleiner Bauernhof auf dem nächsten Hügel, dreht das Radio so laut, dass der ganze Stellplatz bequem mithören kann, dass er für Flamenco schwärmt. Nichts gegen Flamenco – aber dass ein Portugiese derartig die Umgebung beschallt, kann ich mir nicht vorstellen. Dann reitet auch noch eine Schöne auf einem jungen PRE-Grauschimmel vorbei: Pura Raza Espanola – olé! 

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Heimweh nach Portugal: Kunst am Stellplatz von La Palma del Condado bei Huelva

Es ist ein heißer Nachmittag Anfang Februar. Vor wenigen Stunden habe ich mit einer Träne im Knopfloch und mit Hilfe einer hohen Brücke den Grenzfluss Guiadiana zwischen Portugal und Spanien überquert.

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Nun bin ich knapp 50 Kilometer östlich von Huelva in La Palma gelandet: Ein Städtchen im Hinterland der andalusischen Küste, das mit einem kostenlosen Stellplatz aufwartet.

Ich bin nur deswegen und zufällig hier, bleibe nur über Nacht, stelle bei einem Bummel aber fest, wie hübsch La Palma del Condado ist: Auf der großen Kirche nisten mehrere Storchenpaare, Kinder spielen Fußball, ihre Eltern und Großeltern sitzen auf Bänken unter Palmen in der goldenen Abendsonne und schauen zu.

Die hellen Häuser mit ihren Lehmziegeldächern beidseits der schmalen Kopfsteinpflastergassen sind frisch getüncht, die dunklen Holzfensterläden alle aus einem Guss. Straßenbauarbeiten sind im Gange: Hier hat offensichtlich ein findiger Bürgermeister erfolgreich einen EU-Topf angezapft.

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Im Vergleich zu portugiesischen Städtchen wirkt alles sehr aufgeräumt und auch wohlhabend.

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Keinen Blick für die Heilige Jungfrau: Mädels am Smartphone

Überhaupt erscheint Spanien nach drei Monaten im ärmeren kleinen Nachbarland wie ein anderer Planet, von der Lautstärke (Spanier am Strand in Portugal: „Wenn man hier in eine Kneipe kommt, ist es, als würde man auf eine Beerdigung gehen…“) mal ganz abgesehen: Die Autobahn ist voll, voll mit Lastwagen, rund um Sevilla herrscht gar Gedränge. So etwas hatte ich seit meiner Abreise aus Deutschland im September 2021 nicht mehr. Viel Industrie, nach zwei Stunden in Spanien habe ich mehr Fabriken gesehen als in all der Zeit in Portugal. Spanien: Die viertgrößte Volkswirtschaft der EU. Dagegen wirkt mein geliebtes Portugal doch etwas ärmlich und zurückgeblieben. Aber gerade darum gefällt es mir ja so gut.

Ich bin auf dem Weg nach Córdoba, der ehemaligen Hauptstadt des Kalifates Al Andalus. Ist die Erinnerung an die fast 800 Jahre andauernde maurische Herrschaft in Andalusien (711 bis 1492) heute noch lebendig? Wie sehr prägt diese Blütezeit in der Vergangenheit das heutige Verhältnis Südspaniens zum Islam? Diesen Fragen wollen meine Freundin und Kollegin Brigitte Kramer und ich für diverse Radiosender nachgehen. Brigitte habe ich mal auf einer Pressereise nach El Hierro (für mich die Schönste der Kanaren!) kennen gelernt. Sie lebt seit 20 Jahren auf Mallorca und spricht fließend Spanisch. Da sie vorher noch zu Waldbränden in Katalonien recherchiert, muss ich in Córdoba allein klarkommen, wir treffen uns später in Granada.

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Herrlicher Platz im Grünen

An diesem Tag komme ich bis Guadalcázar. Dank P4N finde ich nach einigem Suchen am Ende einer staubigen Schotterstraße einen genialen Stellplatz an einem Ausflugsziel der Locals: Schirmakazien, ein paar Picknicktische an einem ausgetrockneten Bachbett und sonst weit und breit nichts und niemand. Hier verbringe ich eine ruhige Nacht. Früh am nächsten Morgen kommen Müllmänner, um die Tonnen auszuleeren, die aber von den picknickenden spanischen Familien weitestgehend ignoriert werden. An der Anwesenheit eines deutschen Wohnmobils stören sie sich nicht, erwidern freundlich meinen Gruß.

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Nach kurzer Fahrt erreiche ich Córdoba. Der Stellplatz am Rand eines Parks nahe der historischen Altstadt kostet 23 Euronen, Strom und Wasser gehen extra. Córdoba eben: Alle Welt will die Mezquita (Moschee) sehen. Zwei Millionen Besucher jährlich waren es vor Corona. Auch ich bin wegen ihr hier: Die berühmte alte Moschee von Córdoba, prächtiges Zeugnis maurischer Baukunst, Hauptmoschee Córdobas, damals Hauptstadt von Al Andalus und die größte Stadt Europas mit rund einer halben Million Einwohnern, Christen, Juden und Muslime.

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Moschee oder Kathedrale oder beides? Das ist in Córdoba die große Frage….

Die Mezquita war eine der größten Moscheen der Welt, übertroffen nur von der Moschee von Mekka, mit knapp 25.000 Quadratmetern ist sie größer als der Vatikan in Rom. Heute UNESCO-Weltkulturerbe – und eine römisch-katholische Kathedrale.

Ich habe für den morgigen Samstag online vorab eine englischsprachige Führung gebucht. Heute wasche ich Wäsche im nahen Salon (es gibt eine eigene Waschmaschine für Hundedecken!) und radle mit dem Klapprad ein bisschen durch Córdobas historisches Altstadtviertel am gemächlich dahinfließenden Guadalquivir.

Am nächsten Vormittag trifft sich die Besuchergruppe unweit des Haupteingangs der Mezquita. Ein junger Mann aus der Ukraine ist dabei: Es ist der 12. Februar, noch 12 Tage bis zum Kriegsausbruch. Seitdem habe ich mich schon öfters gefragt, was wohl aus ihm geworden ist? Nach Hause gefahren, um zu kämpfen, oder ist er in Spanien geblieben?

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Am Treffpunkt herrscht an diesem sonnigen Frühlings-Samstag ziemliches Gedränge: Unser Guide Azahara Serrano Benavente eilt uns voraus in die Mezquita. Das Monument des Welterbes wird seit Jahrhunderten von der katholischen Kirche Spaniens verwaltet. Für sie ist es die „Kathedrale von Mariä Aufnahme in den Himmel“.

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Für die Kirche Spaniens ist die Mezquita eine Kathedrale

Ich bin nicht zum ersten Mal im schönen Córdoba und in der Mezquita, doch der Anblick des riesigen Bet-Saals der ehemaligen Moschee überwältigt auch diesmal: Die Halle gleicht einem Wald aus hunderten von Säulen aus Granit und Marmor. Sie bot beim Freitagsgebet 40.000 Gläubigen Platz. Den Mihrab, die Gebetsnische, überwölbt eine prunkvolle goldene Kuppeldecke.

Mitten hinein in die Moschee haben die christlichen Könige nach der Eroberung Córdobas im 13. Jahrhundert ein Kirschenschiff gebaut. Natürlich auch als Symbol des Triumphes über die Muslime. Christus hängt nun umgeben von einer maurischen Säulenhalle am Kreuz. Es sei das einzige Monument auf der Welt, in dem man beide Strukturen vereint sehen könne, christliche und islamische, Seite an Seite, meint die junge Historikerin Azahara Serrano Benavente. Ihr arabischer Vorname bedeutet „Orangenblüte“ und ist sehr beliebt bei Eltern in Córdoba.

Doch sie persönlich empfindet das katholische Kirchenschiff als einen Fremdkörper, eine Störung der Harmonie und Symmetrie der islamischen Architektur.Wenn es nach ihr ginge, könnten Muslime gerne hier in der Mezquita zu Allah beten, meint Azahara, doch heutzutage sei das verboten.

Eine Lautsprecherdurchsage erinnert in regelmäßigen Abständen auf Spanisch und Englisch daran, dass man sich in einer katholischen Kirche befinde und ruhig verhalten solle. Diese Mahnung richtet sich an muslimische Touristen: Man will verhindern, dass sie sich in der Mezquita gen Mekka verneigen.

Zur Zeit des Kalifates Al Andalus sei Córdoba dagegen ein Hort der interreligiösen Toleranz und des friedlichen Miteinander gewesen, meint Azahara. Ganz so idyllisch wird es wohl nicht durchgehend gewesen sein: Christen und Juden waren nicht gleichberechtigt, sondern den Muslimen untergeordnet und wurden in einigen Epochen auch verfolgt. Doch insgesamt waren die Jahrhunderte maurischer Herrschaft durchaus eine von weitgehend friedlichem Miteinander geprägte Blütezeit in Andalusien: Wissenschaft, Medizin, Landwirtschaft und Poesie prosperierten. Auch, weil die maurischen Herrscher auf die Errungenschaften der Griechen zurückgriffen, indem sie Schlüsselwerke der Antike übersetzen ließen.

„Doch als der Diktator Franco herrschte“, sagt Azahara, „hat die spanische Kirche versucht, unsere islamische Vergangenheit auszuradieren. Die Kinder lernten in der Schule alles über die katholischen Könige, und wie gut es war, dass diese die Muslime und Juden vertrieben haben.“

Darum spreche sie auch nicht gerne von der „Reconquista“, der Rückeroberung Südspaniens durch die christlichen Könige, meint die junge Historikerin. Auch Isabel Romero, die Vorsitzende der Junta Islámica, der Muslimischen Gemeinde von Córdoba, lehnt den Begriff ab: „Reconquista“ sei eine überholte ideologische Formulierung, mit der der Krieg gegen die Mauren nachträglich gerechtfertigt worden sei. Denn was einem nicht gehört habe, könne man auch nicht zurückerobern.

Isabel Romero ist wie viele Muslime in Spanien Konvertitin und auch Präsidentin des Instituto Halal. Es wurde gegründet, um der muslimischen Gemeinde Zugang zu Halal-Produkten zu ermöglichen: Nahrungsmitteln, die im Einklang sind mit den Speisevorschriften des Islam. Die Adresse ist nobel: Das Instituto Halal residiert im ersten Stock eines prächtigen Stadt-Palastes. Isabels Kollegin Barbara spricht perfekt Englisch und übersetzt. Córdobas Junta Islámica fordere die Mezquita nicht als Moschee zurück, betont Isabel Romero. Sie ist deutlich bemüht, keine Ängste zu schüren.

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Isabel Romero trat vor 20 Jahren zum Islam über. Für ihre Familie war das OK, sagt sie

Miguel Santiago ist da weniger zurückhaltend: Er ist Vorsitzender einer Bürgerinitiative. Diese will die „Mezquita Catedral Patrimonio de Todas y Todos“, also das „Erbe aller Menschen“, der Kirche entziehen und stattdessen der Verwaltung der Stadt Córdoba übertragen. Miguel schenkt Tee ein und bietet englische Kekse an: Er wohnt in einem Altbau mitten in der historischen Altstadt Córdobas. Im Erdgeschoss, ohne Heizung. Wir sitzen in Wolldecken gehüllt um den Tisch, unter dem ein elektrische Heizlüfter summt. Draußen vor dem Fenster laufen die von der Mezquita angelockten Touristen durch die verwinkelten Gassen.

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Wir haben ein Recht auf Ruhe, es ist unsere Stadt“: Die Bewohner von Córdobas Altstadt sind vom Touristenrummel genervt

Miguel und seine Mitstreiter wollen, dass die Mezquita ein multireligiöser Begegnungsort wird, um ihren von der UNESCO geschützten Symbolwert für Religionstoleranz nicht zu verlieren. Die konservative katholische Kirche Spaniens wolle dies mit aller Macht verhindern, kritisiert Miguel Santiago.  Der Blick Spaniens auf fast 800 Jahre islamische Herrschaft sei bis heute von der nationalistisch-katholischen Ideologie des Franquismo geprägt. Denn dem stehe die spanische Kirche immer noch nahe. Starker Tobak. Das Bistum von Córdoba will sich dazu leider nicht äußern.

Zufrieden mit meinem Material radele ich noch zum Wochenmarkt. Er liegt außerhalb der Altstadt, jenseits des Guadalquivir. Fast taub von dem anpreisenden Geschrei der Händler erstehe ich ein eine neue Pfanne und schönes buntes Hundebett für Kinu.

Dann geht es weiter Richtung Granada. Während sich an der Mittelmeerküste Andalusiens rund um Málaga zehntausende Wohnmobile drängen, noch einmal rund 40.000 mehr als sonst, die normalerweise den Winter in Marokko verbringen, die Polizei wegen des Massenandrangs die ersten Plätze schließt, begegnen mir hier im Hinterland auf der N432 genau ZWEI andere Camper.

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Camper-Gedränge an der Küste, viel Platz im Hinterland: Die Oliven-Provinz Jaén

Dabei ist es eine sehr schöne Strecke, quer durch die sich bis zum Horizont erstreckenden Olivenbaum-Plantagen der Provinz Jaén: Andalusiens und damit Spaniens Zentrum des Öl-Anbaus. Dazwischen stehen einzelne Mandelbäume in voller Blüte.

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