Während Mandy sich in die Einsamkeit der nordpolnischen Berge aufmacht, steuere ich mitten hinein in den rummeligen Badeort Leba an der Ostseeküste. Auf dem rappelvollen Campingplatz Morski finde ich noch ein Plätzchen mittendrin. Mit 69 Zloty ist es das teuerste Domizil der ganzen Reise. Doch wat mutt, dat mutt: Ich brauche dringend mal wieder eine Waschmaschine (eher zwei) und ich will im angrenzenden Slawinzischen Nationalpark (Biosphärenreservat der UNESCO) die Düne von Leba sehen: Mit 42 Metern die zweithöchste Wanderdüne Europas (nach der Dune du Pilat in Frankreich).
Nachdem am nächsten Tag die Wäsche trocken und verstaut ist, schraube ich mein Klapprädchen zusammen und radele Richtung Düne. Ohne Kinu: Hunde sind im Nationalpark nicht erlaubt. Und die sieben Kilometer bis zur Düne würde er noch schaffen, aber dann nicht mehr den Rückweg. Also bleibt er im „Libertu“, worüber das alternde Tier auch nicht wirklich unglücklich wirkt. Er verzieht sich in sein geliebtes Flauschenest in der dunklen Höhle unter dem Querbett und legt sich aufs Ohr. Ein prima Wachhund….
Wie immer viel später dran als geplant, strömen mit mir viele hundert Menschen durch den Küstenkiefernwald gen Düne. Die meisten zu Fuß, einige mit einem elektrischen Touri-Bähnchen. In der „Sahara Portugals“ (500 Hektar, nun ja….) ist dementsprechend viel los. Weswegen ich ja eigentlich ganz früh morgens kommen wollte… Der große Sandhaufen ist dennoch beeindruckend: Die Düne wandert unaufhaltsam nach Osten und wird eines Tages Leba verschlungen haben, mitsamt Campingplätzen, Kinderkarussells, Frittenbuden und Andenkenläden. Entstanden ist die Wanderdüne übrigens, weil man vor einigen hundert Jahren den Küstenwald abgeholzt hat – tjaja…
Als nächstes möchte ich auf meiner Fahrt zurück nach Westen einen alten Adelspalast in Sasino besichtigen. Der soll schön renoviert jetzt ein Hotel beherbergen. Nach einigem Herumkurven auf Waldwegen finde ich das Schloss aber verlassen vor, Handwerker werkeln: Offensichtlich wegen Renovierung oder Corona oder beidem geschlossen. Stattdessen werfe ich auf dem Parkplatz am Leuchtturm Stilo ganz in der Nähe Anker: 20 Zloty pro Nacht, flottes Internet, ein herrlicher Strand vor der Haustür, an dem ich sogar eine Robbe aus der Nähe beobachten kann. Nur vor der Fischbude sei gewarnt wegen Abzocke.
Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg Robben-Alarm! Der Herbst… …ist nah
Mitte August geht es weiter nach Krokowa: Auch in diesem ehemaligen Schloss einer deutschen Adelsfamilie wurde ein Hotel mit Restaurant eingerichtet (herrliche Fischsuppe, köstliche Pirogi). Es liegt gleich neben dem einzigen deutsch-polnischen Museum in ganz Polen. Die Ausstellung bleibt allerdings an der Oberfläche, gibt über die traumatischen Hintergründe der Vertreibung der Deutschen aus Polen nach 1945 kaum Auskunft.
Aufschlussreicher ist da mein Gespräch mit der ehemaligen Museumsleiterin Grazyna Patryn. Sie treffe ich nach einer Nacht am Zarnowitzer See am nächsten Tag im Café des Cieckocinco Palac: Hier haben Investoren aus Warschau aus dem ehemaligen Herrensitz ein luxuriöses Reit-Hotel gemacht. Gracyna Patryn frage ich auch, warum jenseits der Region an der Westgrenze Polens viele nicht reagieren, wenn man sie freundlich mit Dzien dobry grüßt. Ich finde das ja ziemlich unhöflich, muss ich gestehen. Pani Patryn, die fließend Deutsch spricht, erklärt: Erstens grüßen wir Polen uns auch untereinander nicht, wenn wir uns nicht kennen. Zweitens schürt die PiS-Partei seit Jahren das antideutsche Ressentiment. Und das Gift fange langsam an zu wirken.
Der nächste Stop ist Kluki: Ein hübsches Freilandmuseum in einem Dörfchen am Leba-See. Ich nächtige auf dem Parkplatz am Dorfrand, morgens führt ein Bolenweg durch eine Welt aus Wasser, Wind und raschelndem Schilf ans Seeufer. Hier hat man einen guten Blick auf die große Wanderdüne von Leba auf der Nehrung am gegenüberliegenden Ufer des Leba-Sees. Es ist schön in Kluki, friedvoll, doch es zieht mich weiter Richtung Grenze: Am 9.9. muss ich im Schwarzwald sein.
Das Internet ist alle: In Ustka (Stolpmünde) finde ich nach einigem Suchen einen Handy-Shop, wo ich die polnische SIM noch einmal aufladen kann. Ohne Polnisch-Kenntnisse schafft man das nicht. Und ich kann in dieser komplizierten slawischen Sprache noch nicht einmal sagen „Ich spreche leider kein Polnisch“. Peinlich….
Am 30. Januar 1945 geschah 23 Seemeilen vor Stolpmünde die größte Schiffs-Tragödie in der Geschichte der Menschheit: Ein russisches U-Boot torpedierte die „Wilhelm Gustloff“. An Bord waren schätzungsweise 10.000 Menschen, die versuchten, aus dem umkämpften Ostpreußen zu fliehen. Nur 1.239 konnten gerettet werden. Etwa 8.000 versanken in der eisigen Ostsee. Ein Gedenkstein erinnert an das Drama. In Stolpmünde drängten sich in den letzten Kriegsmonaten die Flüchtlinge, rund 30.000 gelangten auf Schiffe, die sie in den Westen brachten. Am Abend des 8. März 1945 war Schluss: Die Rote Armee nahm die Hafen-Stadt ein.
Nachdenklich tuckere ich an den Stadtrand und stelle mich auf den Strand-Parkplatz einer netten kleinen Fischbude. Ich frage, ob es stört, wenn ich heute Nacht hierbleibe. Nein, stört nicht und es gebe einen Nachtwächter, ich müsse keine Angst haben – süß. Darauf einen Backfisch und ein Bierchen.
Strand bei Ustka (Stolpmünde)
30 Kilometer weiter westlich, in Jaroslawiec nistet ein Dutzend Camper auf einem Strandparkplatz. Unbehelligt: Die Sommerferien sind vorbei, niemand stört sich an uns Freistehern. Das Wetter wird herbstlich, doch die lieben Nachbarn aus dem Vogtland wärmen das Herz: Sie radeln unverdrossen auch im Regen nach Darlowo und bringen Räucherfisch mit. Ich sitze derweil am Rechner und produziere eine Serie über die dunklen Seiten des Vanlife für Deutschlandfunk Kultur. https://www.deutschlandfunkkultur.de/unterwegs-im-camper-van-der-traum-von-freiheit-100.html
Dabkowice liegt reizvoll auf einer Nehrung zwischen See und Meer, ist aber nur über einen schmalen, matschigen Plattenweg zu erreichen: sechs Kilometer Geholper durch den Küstenwald, aber seit Italiens Straßen kann mich ja nichts mehr schrecken. Der Campingplatz ist einfach, aber nett, der Strand ist herrlich und wegen des Wetters fast komplett leer. Hier läute ich an einem windigen Wochenende den Abschied von der Ostsee ein.
Im Badeort Ustronie Morski vor den Toren von Kolberg ist es soweit: Der letzte Strandspaziergang. Mangels anderer Möglichkeiten stelle ich mich in einer Ferienhaus-Siedlung am Ortsrand an die Straße, mache alle Schotten dicht und gehe früh schlafen.
Am 24. August erreiche ich die letzte Station vor der deutschen Grenze: Auf dem Weingut Kojder bei Stettin wollte ich schon auf dem Hinweg übernachten, aber da hatten die beiden Geschwister Anna und Artur Kojder ihren freien Tag. Nun klappt es. Dass in Polen immer mehr Wein angebaut wird, war mir gar nicht klar. Die Kojders keltern einen edlen, teuren Tropfen. Ich nehme trotzdem zwei Kartons mit auf den Weg zurück nach Deutschland. https://winnicekojder.pl/pl/
Do widzenia!
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