Dieser Herbst und Winter in Italien waren ein Versuchsballon: Würde ich in der nur sechs Meter langen Wohn-Dose Platzangst bekommen? Nachts allein auf dem Waldparkplatz vor lauter Angst kein Auge zu tun? Stünde ich in Süditalien am Traumstrand und fühlte mich einsam und verlassen? Würde ich es 24/7 mit mir selbst aushalten? Ginge mir das ständige Unterwegssein, die dauernde Suche nach einem Platz zum Stehen, nach Wasser und einer Waschmaschine auf die Nerven?
Nein, ich habe nichts vermisst, mich nicht einsam gefühlt, war gerne mit mir allein, habe tolle Leute kennen gelernt, hatte keine Angst (nur die eine Nacht nach dem Einbruch in der Toskana, mit kaputter Schiebetür auf diesem grässlichen Parkplatz voller unbewohnter Wohnmobile).
Das auf Instagram gehypte so genannte Vanlife ist sehr viel aufwändiger, als das auf den hübschen Fotos mit offener Schiebetür in stets herrlicher Natur vermittelt wird: In der Wohnung macht man einfach das Licht an, dreht den Wasserhahn auf und schaltet die Waschmaschine an. Im Van muss man zusehen, dass die Solarfabrik auf dem Dach genug Sonne abbekommt, dass der Wassertank stets gut gefüllt ist, mit möglichst sauberem Wasser und rechtzeitig einen Waschsalon oder im Winter noch geöffneten Campingplatz finden. Ganz zu schweigen von der Mini-Gasflasche, die nach wenigen Wochen wieder neu aufgefüllt werden muss, damit die Küche nicht kalt bleibt.
Das alles kostet Zeit und Nerven. Zumal in einer Pandemie. Doch diese Widrigkeiten werden mehr als wett gemacht von dem berauschenden Gefühl der Freiheit. Und der Tatsache, dass das Fernweh endlich Milderung erfährt.
Also fällt die Entscheidung leicht: Ich mache so weiter. Ich will alle Länder der Europäischen Union bereisen, ihre Einwohner kennen lernen, sie fragen, was sie über ihr Land und ihr Leben denken und darüber ein Buch schreiben.
Ende April trudele ich in der alten Heimat ein: Bei lieben Freundinnen in Caputh bei Potsdam.
Meine betagten Eltern leben in Brandenburgs Landeshauptstadt. Sie nehmen die Nachricht tapfer auf, dass ich weiter unterwegs sein werde, sie haben sich das schon gedacht. Mit WhatsApp halten wir Kontakt, dank der Fotos und Standorte können sie quasi mitreisen. Eigentlich wollte ich nach dem Verkauf an Facebook kein WhatsApp mehr, aber es ist schon sehr praktisch, seufz.
Um den angemieteten Lagerraum in einer Halle bei Potsdam verkleinern zu können, verkaufe und verschenke ich die letzten Großmöbel: Bett, Matratze, Kühlschrank. Es ist schön, wenn andere Menschen sich über Dinge freuen, die man selbst nicht mehr braucht.
Dann ruft die Arbeit: Einige Aufträge für die Sendung „Länderreport“ von Deutschlandfunk Kultur wollen umgesetzt werden: Eine Reportage über den Potsdamer Sauenhain zum Beispiel. Hier darf eine aussterbende Schweinerasse in Freilandhaltung unter Apfelbäumen rüsseln.
Als nächstes geht es mal wieder in den äußersten Nordosten Brandenburgs, an die Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Hier in meiner Lieblingsgegend betreibt eine super sympathische Truppe das Autokino Zempow, das einst einzige Autokino der DDR.
Hier, unter dem weiten Himmel, an den klaren Seen, im Land der großen Felder und kleinen Dörfer, fühle ich mich dann auch wieder heimisch. Nach sieben Monaten in Italien war mit das mit Verbotsschildern zugestellte Deutschland in seiner Aufgeräumtheit sehr fremd geworden.
Auf dem wegen Corona menschenleeren Campingplatz „Hexenwäldchen“ bei Mirow treffe ich mich mit Mandy Raasch: Sie wohnt auch in einem VANTourer, hat mich mit ihrem Blog Moovin’Groovin sehr inspiriert und unter vielen anderen auch diese meine Homepage gestaltet. https://movingroovin.de/
Webdesignerin Mandy ist schon seit fünf Jahren on the road. Wir haben uns viel zu erzählen, auch unsere beiden Hunde verstehen sich prima (was bei beiden nicht selbstverständlich ist), wir bleiben eine Woche in dieser Landschaft aus Wasser, Schilf und Kiefernwald. Nur das Internet könnte flotter und das Wetter besser sein: Bibber….
Von der Uckermark in die Prignitz: In Wittenberge an der Elbe (nicht zu verwechseln mit der Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt) lockt man mit einem spannenden Konzept kreative Großstädter aufs platte Land.
Dann düse ich wieder zurück Richtung Uckermark: In der Nähe von Eberswalde erforscht das Thünen-Institut Waldökosysteme. Die Sicht der Wissenschaftler ist Teil einer Recherche für das „Wochenendjournal“ des Deutschlandfunks über den Wald im Klimastress.
Zwischendurch besuche ich Freunde auf ihrem schönen Vierseithof in Bölzke in der Prignitz und bringe „Libertu“ zur Dichtigkeitsprüfung zum Händler. Auf ihrem Hof vermietet Fariba übrigens auch eine Ferienwohnung und ein Heuhotel: https://bettundboelzke.de/dorf-hof/.
Warum gehen immer mehr Frauen auf die Jagd? Und jagen sie anders, als Männer? Ich treffe zwei Jägerinnen zwischen Bernau und Strausberg, tolle, toughe Frauen, ein spannender Tag, abends geht Sabine Zuckmantel (die auch Wanderritte auf Berberpferden anbietet) mit mir auf Ansitz.
Nach solchen Tagen denke ich mir immer, was für einen tollen Beruf ich doch habe. Auch nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch mein Traumjob. Ich treffe auch Mandy noch einmal: Wir stehen frei in den idyllischen Elb-Wiesen beim Truppenübungsplatz Glöwen, etwas nördlich von Havelberg. Nur die Vögel piepsen und das Schilf raschelt im Sommerwind.
Dann geht es wieder zurück an den Rand von Potsdam: Bei Beelitz haben sich Familien zum Hof-Projekt „Lauter Leben“ zusammengetan: Eine oft beglückende Gemeinschaft, die aber auch viel Arbeit erfordert. Ich werde zu Abendessen und Sauna eingeladen und stehe entspannt am Feldrand. Die Grillen zirpen und der nächtliche Duft nach reifenden Getreide zieht durch den Van.
Nach all diesem Herumsausen wie in alten Korrespondentinnen-Tagen gilt es das Material zu schneiden, die Texte zu schreiben, die Beiträge zu produzieren. Das erledige ich auf dem Campingplatz Sanssouci am Rand von Potsdam (teuer, aber idyllisch) und auf dem Stellplatz Inselparadies in Petzow bei Werder (nicht teuer, auch sehr idyllisch). Es ist Juni geworden, endlich wird das Wetter wärmer.
Anschließend geht es quer durch Thüringen in den Harz: Meine Freundin und Kollegin Imke Oltmanns und ich haben uns in einem Ferienhaus in Altenau eingemietet. Eine Woche lang recherchieren wir für das „Wochenendjournal“, wie es um den deutschen Wald in Zeiten des Klimawandels steht: Schlecht.
Unter den immer heißeren und trockenen Sommern leiden vor allem die nach 1945 massenhaft angepflanzten Fichten. Der Borkenkäferbefall hat ganze Hänge absterben lassen.
Wir sprechen mit Förstern, Waldbesitzern, Jägern und Touristikerinnen. Nachdem alles zur Zufriedenheit im Kasten ist, fahren wir nach Jever, in Imkes friesische Heimat und machen uns ans Schneiden der vielen, vielen Töne und Geräusche. Das Ergebnis könnt Ihr hier nachhören (runter scrollen bis zum 14. August):
https://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=106#
In Jever bekommt Kinu vom Schreiner einen angemessenen Hunde-Thron angepasst, denn hinter dem Fahrersitz unter dem Tisch bekommt er von der Klimaanlage nichts ab, der Arme. Und in Papenburg lasse ich den Van bei Uwe von „mobile Beschriftung“ ein bisschen folieren:
Anfang Juli geht es dann zurück nach Potsdam, Abschied nehmen. Eigentlich will ich in diesem Sommer ja nach Schottland und auf die Hebriden, um über die Folgen des Brexits zu berichten. Doch wegen der Seuche schicken die Briten auch Geimpfte in Quarantäne: Zehn Tage in einem Hotel, für 1.700 Pfund, der Hund darf nicht mit. Nein danke. Also ändere ich meine Pläne wieder einmal, mittlerweile schon fast routiniert. Auf nach Polen. Hier werden doppelt Geimpfte eingelassen. Und das große Nachbarland im Osten interessiert mich schon lange. Bislang kenne ich außer ein bisschen Ostseeküste, Warschau und den Masuren vor 15 Jahren nichts von Polen. Das soll sich ändern.
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