Córdoba war die Hauptstadt von Al Andalus, doch Granada ist für Muslime das verlorene Paradies. Denn die Stadt zu Füßen der Sierra Nevada war die letzte, die fiel: 1492 übergab der letzte Emir Granada an die katholischen Könige. Damit endete die 711 begonnene maurische Herrschaft in Andalusien endgültig. Heute ziehen viele wohlhabende Muslime aus aller Welt in teuer sanierte Häuser in der Altstadt. Denn Jahrhunderte lang war Granada eine islamische Stadt – und das sieht man ihr immer noch an: Auf einem Hügel über der Hauptstadt der Provinz Andalusien thront die weltberühmte Alhambra, eine riesige maurische Kasbah mit herrlichen Palästen und Gärten.
Ich lasse mich für 15 Euro am Tag auf dem kleinen, niedlichen Campingplatz La Zubia am Stadtrand nieder. Es gibt einen winzigen Supermarkt und ein Bücher-Tausch-Regal. So etwas zeigt immer, das die Platz-Betreiber ein Herz für Camper haben, finde ich. Alle 20 Minuten fährt ein Bus in die Innenstadt. Endlich mal wieder eine heiße Dusche: herrlich. Dazu handelt es sich noch um eine Fünf-Sterne-Dusche: Sie ist im Preis inbegriffen, man braucht also keine Münzen oder Jetons; die Temperatur kann man selbst einstellen und das Wasser ist schön heiß; der Strahl prasselt kräftig und tröpfelt nicht nur traurig vor sich hin und es gibt einen gescheiten, verstellbaren Duschkopf: Perfekt!
Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Van zur Alhambra, deren Parkplatz übrigens auch als Stellplatz genutzt werden kann. Die befestigte Stadt-Burg ist UNESCO-Weltkulturerbe seit 1984 und eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Europas. Die Eintrittsgelder spülen alljährlich Millionen in die Stadtkasse. Durch die Alhambra habe ich eine spanischsprachige Führung gebucht, unser Guide ist diesmal Alejandra Reino Carrera, eine junge Frau mit bunten Haaren. Sie beginnt ihre Tour im Sommerpalast mit seinen gepflegten Gärten, dem Generalife.
Doch Höhepunkt der Besichtigung sind immer die prächtigen Nasriden-Paläste in der Zitadelle: Mit ihren von Brunnen und Duftbäumen beschatteten Höfen waren sie über viele Jahrhunderte der Wohnsitz des jeweiligen Herrschers.
Die Nasriden waren die letzte Dynastie der maurischen Herrscher über Granada. Ihre Paläste aus dem Mittelalter zeugen von der Baukunst ihrer Architekten, zu einer Zeit, als die Herrscher unserer Vorfahren in zugigen, kalten, mit Binsen ausgelegten Burgen hausten. Hier dagegen: Wasserspiele, Zierstuck, Poesie und den Koran zitierende Schriftbänder. „In mir beneidet der Okzident den Orient“ heißt es treffend auf einem. Zeitgenössischen Besuchern muss die Alhambra wie ein wahr gewordenes Märchen aus 1001 und einer Nacht vorgekommen sein. Die Abend-Touren, auf denen die Paläste schön ausgeleuchtet erden, waren leider auf Monate hin ausgebucht.
In einer kurzen Foto-Pause unterhalte ich mich mit Alejandra Reino Carrera, die gut Englisch spricht, über ihre Sicht auf das maurische Erbe. Alejandra stammt nicht aus Andalusien, sondern kam vor ein paar Jahren aus La Coruna her, aus dem äußersten Norden Spaniens, erzählt sie.
„Ich identifiziere mich nicht mit Al Andalus. Ich komme aus Galicien, dem kleinen Teil von Spanien, nördlich von Portugal, der keltischen Ursprungs ist. Also ist es nicht Teil meiner kulturellen Identität. Aber: Als Spanierin bin ich wirklich stolz auf unsere Geschichte. Diese Mischung verschiedener Kulturen aus aller Welt! Auch die Architektur: Wirklich einmalig. Ich fühle es zwar nicht in meinen eigenen Knochen, aber ich liebe es trotzdem und schätze mich glücklich, aus einem Land mit so großer Vielfalt zu kommen.“
Doch die Erinnerung an Al Andalus werde sträflich vernachlässigt, kritisiert Alejandra. Sie hat viele muslimische Freunde in Granada und lobt die Weltoffenheit der Stadt.
„Wir waren damals Weltspitze in den Wissenschaften, der Medizin, Dichtkunst, Musik – und es wird nicht darüber gesprochen. Die Spanier sehen es nicht als ihre Identität. Im Gegenteil: Die Erzählung berichtet von den Christen, die über die schrecklichen Muslime obsiegt haben, die dieses Land ruiniert hätten. Was nicht stimmt. Wir waren im 15. Jahrhundert eines der fortschrittlichsten Länder. Dank all dieser wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften der Muslime. Darum ist es für mich eine Schande, wie wenig die Leute über unsere Geschichte wissen, vor allem über diese acht Jahrhunderte islamischer Herrschaft!“
Nach der Tour besteht der Hund auf einem kleinen Spaziergang. Der führt uns am Rand eines nahen Friedhofs vorbei. Dort entdecke ich zu meinem Schrecken ein Mahnmal für die Opfer des Franco-Faschismus. An dieser Friedhofsmauer wurden sie reihenweise erschossen, berichtet mit ein junger, langhaariger Gärtner.
Spanien sei heute auf dem Weg zurück in den Faschismus, meint der Gärtner noch, bevor er seine Schubkarre weiterschiebt. Wohl mit Blick auf die rechtspopulistische, fremden- und islamfeindliche Partei Vox und ihre jüngsten Wahlerfolge.
Am nächsten Tag treffe ich mich mit meiner Kollegin und Freundin Brigitte Kramer auf der Plaza de San Nicolas im Altstadtviertel Albaicín. Brigitte lebt schon lange auf Mallorca, spricht darum im Gegensatz zu mir fließend Spanisch. Von der Plaza aus hat man einen guten Blick auf die Alhambra mit ihren rötlich schimmernden Mauern.
Der Alabaicín ist das älteste Viertel der Stadt, und hier begegnen sich die Kulturen noch heute: Flamencosänger und Gitarrenspieler treten direkt neben der kleinen Moschee von Granada auf. Die wurde vor etwa 20 Jahren eröffnet und liegt ganz in der Nähe der Plaza de San Nicolas, auf der sich zu jeder Tages- und wahrscheinlich auch Nachtzeit Dutzende von Touristen versammeln.
Mit seinen engen steilen Gassen und meist weiß getünchten Häusern verkauft sich das Viertel erfolgreich als Reminiszenz an Al Andalus und Klein-Marokko: In zahllosen Andenkenläden stapeln sich Lederpantoffeln, Wasserpfeifen, nordafrikanische Gewänder und jede Menge kitschige bunte Lampen, hergestellt in der Türkei. Bezahlbare Wohnungen sind hier nur noch schwer zu finden, dafür wimmelt es von Touristen, die mit ihren Rollkoffern in eines der vielen Airbnb streben. Brigitte und ich setzen uns in ein kleines Restaurant, wo es fade schmeckenden und überteuerten Couscous gibt. Das Mahl wird zudem von einem leider minderbegabten Straßenmusiker dauerbeschallt. Touri-Viertel eben…
Es ist schön, zur Abwechslung mal nicht allein zu recherchieren. Zur Krönung des Tages finde ich am Rand der Altstadt in einer edlen Manufaktur ein Parfum, das mir gefällt: „Amber Gris“ mit Oud – ein seltener Luxus.
Am nächsten Tag besuchen wir in einem Neustadtviertel, einige Kilometer vom touristischen Zentrum entfernt, die Vereinigung Dar Al Anwar: Sie wurde 2015 gegründet. Dar Al Anwar vermittelt den Kindern von spanischen Konvertiten die arabische Sprache und unterstützt Einwanderer aus Nordafrika bei der Integration. Viele von ihnen haben den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer genommen. Wir schauen kurz beim Arabisch-Unterricht zu, interviewen die Lehrerinnen und treffen dann in einem nahen Straßencafé Omar Arroud, Gründungsmitglied von Dar Al Anwar.
Omar ist in Marokko geboren und vor 23 Jahren hergekommen, um an der Universität von Granada Bauingenieurwesen zu studieren. Er hat in Granada geheiratet und ist Vater von zwei Kindern, 15 und 18 Jahre alt. Heute ist er Geschäftsmann und engagiert sich ehrenamtlich bei Dar Al Anwar.
„Wir wollten einen Raum schaffen, in dem sich unsere Kinder mit der Kultur des Landes, in dem sie geboren wurden, identifizieren können, aber auch mit der Kultur ihrer Eltern und der Religion ihrer Eltern. Vielleicht gibt es hier eine abgeschwächte gesellschaftliche Islamophobie wegen der muslimischen Vergangenheit. Aber was die Religion betrifft, gibt es eindeutig Ablehnung. Sie ist so stark, dass unsere Kinder ihre Religionszugehörigkeit vor Freunden und in der Schule manchmal verbergen.“
Zum Beispiel würden Mädchen, die Kopftuch tragen, in der Schule angefeindet, berichtet Omar.
Der Integrationsverein Dar Al Anwar will diese Distanz verkürzen und offener Ablehnung vorbeugen. Er organisiert regelmäßig Workshops an Schulen und fragt die Schüler, was sie mit Islam verbinden:
„Die häufigsten Wörter sind Terrorbombe und Schawarma. Es gibt einen Mangel an Wissen und auch ein bisschen Hass. Unsere Kinder spüren das.“
Omar Arroud fürchtet, dass mit dem Einfluss der extremen Rechten, nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa, dieses Gefühl immer stärker wird. Die Kinder würden ihre Zugehörigkeit zum Islam künftig immer mehr verbergen wollen.
„Da ist zum Beispiel die AfD in Deutschland. In Frankreich sind es Le Pen und Zemmour, in den Niederlanden haben wir Wilders, in Italien die Lega Nord. Wir glauben und befürchten, dass diese Bewegungen erst am Anfang stehen und eine große Zukunft vor sich haben.“
Düstere Aussichten. Am Tag darauf kehren wir noch einmal in den Albaicín zurück. Unweit der Plaza San Nicolas sitzen wir draußen in der Sonne, in einer Teestube gleich neben der Moschee.
Es ist Freitagnachmittag: Die Gläubigen versammeln sich zum Gebet. Als der Muezzin von dem kleinen Minarett aus zum Gebet ruft, hätten wir das fast überhört: Der Muezzin muss ohne Mikrofon auskommen. Der Albaicín verkauft sich den Touristen zwar als Relikt aus der Zeit des Al-Andalus, aber echte und lautstarke islamische Präsenz – das wollten die Anwohner dann doch nicht.
Hier geht es zu unserer Reportage auf ORF:
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