Durch die Emilia-Romagna in die Toskana

7. Oktober 2020 | Italien

Genug der Adriastrände: Das nächste Ziel ist die Toskana. Vorher muss ich aber kurz nach Imola, bekannt für die Ferrari-Rennstrecke. Dort will ich aber nicht meinen Grauwal durch die Kurven jagen, sondern in Imola sitzt auch Nauticaravan, einer von zwei VANTourer-Vertragswerkstätten in Italien. Die sollen sich mal den Auslasshahn des Grauwassertanks angucken: Der hat in Cervia den Parkplatz vollgetropft. Und das ein oder andere Fensterrollo klemmt auch wieder: Die Dinger sind anfällig. „Komm vorbei“, heißt es in der Werkstatt, also los geht’s.

Nach rund einer Stunde durch jede Menge Verkehrskreisel bin ich da. Während ein Mechaniker aus der Ukraine sich um „Libertu“ kümmert, trinke ich in einer Bar in der Nähe einen Cappuccino und beobachte den ersten und einzigen Auffahrunfall, den ich im angeblich verkehrstechnisch so chaotischen Italien bislang gesehen habe.

Der Van ist am Spätnachmittag fertig, nun aber flink einen Übernachtungsplatz suchen. Imola ist nicht gerade eine Hochburg des Campingtourismus, das Industriegebiet hier ist wenig einladend, es wird schon dunkel, also muss es etwas in der Nähe sein, aber bitte ländlich. Die AriApp weiß Rat: Eine italienische Camping-App, die allerdings etwas gewagte Stellplatz-Vorschläge macht, wie ich bald feststellen werde.

14 Kilometer vor den Toren von Imola, im Dorf Dozza Borgo d’Italia gebe es einen Stellplatz, meint Ari. Durch den Feierabendverkehr tuckere ich aus der Stadt heraus , biege links ab und folge einem kurvenreichen Landsträßchen bis Dozza. Der Stellplatz ist schwer zu finden, weil es gar keiner ist, sondern ein privater Parkplatz, der zu einem Restaurant nebst Tennishalle gehört.

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Abendstimmung in Dozza
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Die Emilia-Romagna ist auch schön…

Mittlerweile ist es dunkel, ich gehe ins Restaurant und frage den Wirt mit Hilfe der Google-Übersetzer-App, ob ich eine Nacht auf seinem Parkplatz stehen bleiben kann. Klar, meint er, kein Problem. Um mich erkenntlich zu zeigen, bestelle ich ein Glas Weißwein und frage, ob er einen hier aus der Region hat. „Sogar hier aus unserem Dorf“, sagt er stolz. Und bringt mir zum Wein einen kleinen Teller mit lokalen Spezialitäten nach dem anderen: Gastfreundschaft pur, sooooo nett!

Das Schlagen der Bälle in der Tennishalle nebenan wiegt mich in den Schlaf: Plopp-plopp, plopp-plopp….

Am nächsten Morgen, nach der Hunderunde, überlege ich, wie ich nach Florenz komme. Die Autobahn über Bologna scheidet aus, der mautfreie Weg über Landstraßen führt am Lago di Bilancino vorbei, da könnte man doch prima Mittagspause machen, es soll ein schöner Tag werden.

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Mit sanften Hügeln beginnt es, aber dann…

Auf der Karte sah es aus, als würde die Strecke relativ geradeaus nach Florenz führen, darum wundere ich mich, als sich am Horizont Berge auftürmen und sich die schmalen Straßen alsobald wieder die Hänge hinaufwinden. Was ist das denn jetzt für ein Gebirge, frage ich mich. Ich fahre zwar zurück nach Westen, aber viel weiter südlich, das können doch nicht wieder die Alpen sein?

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…wird es immer steiler und karstiger

Vom Apennin hatte ich zwar gehört, aber dass Italien nicht nur oben im Norden gebirgig ist, sondern überall, weil sich ein 1.500 Kilometer langer Gebirgszug wie eine Wirbelsäule durchs gesamte Land zieht, bis hinunter in den Süden, das war mir nicht klar. Drum heißt es auch Appennin-Halbinsel. Reisen bildet.

Also dröhnt „Libertu“ mit seinen 160 PS mal wieder durch Haarnadelkurven, immer weiter nach oben, durch winzige Bergdörfchen, deren Durchgangsstraßen teils so schmal sind, dass ich die Spiegel anklappen muss. Es ist Herbst, die Wälder beginnen sich zu färben.

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Hinter einem der Dörfchen sehe ich drei alte Männer Plastikwäschewannen mit Maroni tragen. Ich würde gerne anhalten, sie fragen, ob die Rente nicht reicht, ob sie deswegen in ihrem Alter Esskastanien in den Wäldern sammeln, oder weil sie es immer schon gemacht haben, in jedem Herbst, seit ihrer Jugend. Wie das Leben hier oben ist, weitab vom Mailand oder Rom, ob alle jungen Leute weggegangen sind, und wohin? Doch leider spreche ich kein Italienisch und die drei Rentner sicher kein Englisch. Mit Bedauern fahre ich weiter. Ich brauche einen Babelfisch!

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Die Landschaft ist wild, einsam und malerisch. Wäre ich in Florenz nicht verabredet, wäre ich sicher ein paar Tage geblieben und ein bisschen herumgewandert: Der lombardische Berge-Überdruss ist an den Adria-Stränden verflogen.

Mittags erreiche ich den riesigen Lago di Bilancino: Ein Stausee, der die Arno-Ebene vor Überschwemmungen schützen und die Trinkwasserversorgung von Florenz sichern soll. Ich überquere den Damm, biege rechts ab, folge der Uferstraße bis zum Parcheggio 2 und halte dort. Ein großer Haufen Glas in einer der Parkbuchten macht keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Aber außer mir ist niemand da, unten am Hang glitzert der See verlockend in der Herbstsonne. Also schließe ich den Van ab, ziehe alle Rollos vor die Fenster und schleppe meinen Campingstuhl den Hügel hinunter, an einer Wiese vorbei, durch das geschlossene Bahia Café an die „Bilancino Beach“, einen weißen Kiesstrand. Hier unten stehen einige wenige Autos, eine Handvoll Leute sonnen sich auf Handtüchern.

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Nach der Gurkerei durch die Berge bin ich zu müde, um heute noch nach Florenz weiter zu fahren, ich habe die Wiese am Hang im Auge, da könnte man doch nett stehen und morgens aus dem Schlafzimmerfenster über den See gucken. Doch dort steht mittlerweile schon ein kleines weißes Alkoven-Wohnmobil. Vier Studenten aus Sachsen-Anhalt bereiten das Abendessen vor. Aber neben ihnen ist auf der Wiese noch Platz beschließen wir. Der Parcheggio ist mir nämlich nicht ganz geheuer und liegt auch direkt an der Straße.

Leider erweist sich die idyllische Wiese als ganz schön feucht und nicht wenig abschüssig: Als ich herum rangiere, um einigermaßen eben zu stehen, zeigt sich, was für ein Gewicht der Grauwal hat und wie ungünstig der Vorderradantrieb ist. Die Räder vorne finden keinen Grip, die Hinterreifen drehen durch, das Heck schwingt wild hin und her, der Matsch fliegt einen halben Meter hoch. Um ein Haar hätte ich mich festgefahren, und die Wiese sieht aus, als hätte eine Rotte Wildschweine auf Extasy hier eine wilde Party gefeiert. Mein einziger Trost ist, dass sie als Parkplatz erst wieder im nächsten Frühjahr gebraucht wird.

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