Grüne Revolution im Bordeaux? Recherche im berühmten Wein-Anbaugebiet

25. Oktober 2021 | Frankreich, Umwelt & Klima

Da ich auf dem Weg nach Süden an Bordeaux vorbeikomme, stöbere ich im Internet, welche Themen in der Region spannend zu erzählen wären. In Frankreichs berühmtesten Weinanbaugebiet Bordelais, im Mündungsgebiet von Garonne und Dordogne, die sich hier zur Gironde vereinigen. Heimat solch illustrer Weingüter wie Chateau Lafite-Rothschild, Chateau Latour oder Chateau Margaux. Um deren Produktion aufs höchstem Niveau, Premier Grand Cru Classé, schlagen sich die Einkäufer der weltweiten Spitzengastronomie, was die Preise in schwindelerregende Höhen von bis zu mehreren tausend Euro treibt – pro Flache!

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Wein ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor rund um Bordeaux, schon seit 2.000 Jahren

Das edel-luxuriöse Image mag da so gar nicht zu der Tatsache passen, dass im Bordelais jede Menge Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Tatsächlich sind die französischen Weinberge die größten Verbraucher von Fungiziden, Insektiziden und Herbiziden im ganzen Land. Schluck.

Für gehörigen Aufruhr hat im Herbst 2020 eine Winzertochter gesorgt: Valérie Murat wurde zur Anti-Pestizid-Aktivistin, nachdem ihr Vater an Krebs starb. Dieser wurde als Berufskrankheit anerkannt, weil der Winzer Jahrzehnte lang mit Unkrautvernichtungsmitteln hantiert hatte. Seine Tochter Valerie gründete daraufhin die Bürgerinitiative  „Alertes aus Toxiques“ (Giftalarm) und ließ 22 Weine in einem Labor analysieren, davon 20 aus dem Bordelais.

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Mehltau ist die größte Bedrohung für die Trauben – dagegen werden auch heute noch viele Pestizide gespritzt

Das beauftragte Labor fand jede Menge Pestizide-Rückstände. Der Skandal war groß. Der Winzerverband der Bordeaux-Weine CIVB verklagte die Aktivistin wegen Rufmordes und Verleumdung. Und just als ich im Bordelais bin, wird Valerie Murat zu einer Geldstrafe von 125.000 Euro verurteilt. Die Aktivistin geht in Berufung. Ich rufe sie an und Murat ist sofort bereit, mir ein Interview zu geben.

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Weingüter wie Schlösser: Der Winzerverband in Bordeaux ist mächtig

Die Geschichte geht aber noch weiter: Im Bordelais stellen immer mehr vor allem junge Winzerinnen und Winzer auf biologischen Anbau um. Teils, um ihre eigene Gesundheit und die der Verbraucher und die Natur zu schützen, teils weil der Exportmarkt immer wichtiger wird und Kunden im Ausland zunehmend nach Bio-Weinen verlangen.

Außerdem: Der Klimawandel ist auch hier ein Thema: Die Sommer werden immer heißer und trockener, die Weine deswegen immer zucker- und damit alkoholhaltiger und schwerer. Auch kommen manche Rebsorten mit der Wärme nicht gut zurecht, wie zum Beispiel der Merlot. Aber 65 Prozent der hier angebauten Reben sind Merlot. Die Branche steht also vor einem großen Problem. Nach Jahren intensiver Forschung wurden darum jüngst neue Rebsorten im Bordelais zugelassen, die ersten Winzer beginnen sie anzupflanzen, um ihre Weinberge zukunftsfest zu machen. Da ist also Musik drin.

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Erste Station auf der Recherche-Reise ist das kleine Chateau Nodot in Saint-Christoly-de.Blaye. Hier forciert die junge Chefin Jessica Aubert den biologisch-dynamischen Anbau. Mit Bio hatten ihre Eltern auch schon begonnen, die waren nämlich Ärzte, bevor sie in das Familien-Chateau übernahmen, das seit 1760 existiert.

Jessica zeigt mir stolz ein kleines Weinanbaumuseum mit Gerätschaften aus Großvaters Zeiten. Dann schreiten wir zur Verkostung. Die Rotweine schmecken erdig und kräftig. Jessica Aubert beobachtet aufmerksam meine Reaktion. Sie sieht blass und müde aus: Es ist Erntezeit und Demeter-zertifizierten Weine zu produzieren, die sich gegen die immense Konkurrenz von abertausenden Weingütern rund um Bordeaux durchsetzen kann, das ist sehr anstrengend.

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Jessica Aubert hat das Chateau Nodot von ihren Eltern übernommen. Einen guten Demeter-Wein zu machen ist harte Handarbeit

Keine Chemie gegen den größten Feind einsetzen zu dürfen – den Mehltau – bedeutet Kupfer und Sulfat spritzen und viel, viel Handarbeit. Um den lehmig-kieseligen Boden der Region Cotes de Blaye nicht zu zerstören, erledigt sie die schweren Arbeiten im Weinberg mit dem Pferd. Statt Insektenvernichtungsmittel zu nutzen beherbergt Chateau Nodot eine Fledermauskolonie: Eine Fledermaus frisst nämlich bis zu 5.000 Insekten pro Nacht.

Im Chateau Boutinet hat ebenfalls eine Frau das Sagen: Nathalie Escuredo verzichtet auf Pestizide, seit sie und ihr Mann das rund 20 Hektar große Château Boutinet übernommen haben. Sie ist auch Botschafterin für Nachhaltigkeit für den Winzerverband CIVB. Aktivistin Valerie Murat müsse die Sache mit mehr Geduld angehen, rät sie: Immer mehr Winzer würden auf biologischen Anbau umsteigen, viele andere, die konventionell arbeiten, bemühten sich, sehr viel weniger Gift zu spritzen als früher. Doch das koste Ernteerträge und Zeit, es brauche wahrscheinlich eine ganze Generation für den Wandel.  Sagt Nathalie Escuredo und gibt mir zum Abschied eine Flasche ihres dunklen Rosé mit. Gut gekühlt trinken, mahnt sie.

Auch der Sprecher des Winzerverbandes erklärt mit im Telefoninterview, das Bordelais sei quasi schon mehrheitlich auf dem Weg zu Bio, Valerie Murats Feldzug gegen das Gift laufe ins Leere. Die Konzentrationen der Pestizid-Rückstände in den Weinen seien sehr niedrig und vollkommen legal.

Valerie dagegen nennt den Wandel zum nachhaltigen Anbau einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Es würden aber immer noch viel zu viel krebserregende Pestizide gespritzt, die sich dann im Wein fänden. In dem Prozess gegen sie hatten sich Dutzende Umwelt-Organisationen aus ganz Europa mit ihr solidarisch erklärt, darunter auch Greenpeace und das Umweltinstitut in München.

Bislang war ich östlich der Gironde unterwegs, am so genannten „rechten“ Ufer. Um ins Médoc zu gelangen, muss ich auf die andere, „linke“ Seite, über den Fluss. Statt des Verkehrschaos und zwei hoher Brücken rund um Bordeaux wähle ich die Fähre bei Blaye. Dort ist auch die große Festungsanlage am Ufer der Gironde zu bestaunen – UNESCO-Weltkulturerbe.

Auf geht es ins Médoc am linken Ufer der Gironde

Nach kurzer Fährfahrt bin ich drüben und werde im „Haus des Weines“ in Pauillac vorstellig. Ich schildere mein Anliegen, auch eines der „großen“ Chateaux zum Thema Nachhaltigkeit zu befragen. Man schickt mich zu einer Führung ins Chateau Lafon-Rochet in Saint-Estèphe. Seit der Klassifikation der Bordeaux-Weine von 1855 ist es als Quatrième Grand Cru Classé eingestuft: Also als viertklassig unter den Besten. Aber immerhin: Grand Cru!

Neuer Eigentümer ist ein Schweizer Immobilienmagnat (immer mehr traditionsreiche Weingüter werden für viele Millionen an Investoren von außerhalb verkauft. Den alten Familien fehlt oft das Kapital für die Erbschaftssteuer). Nun bangt die Belegschaft, ob der neue Chef den Wandel hin zum biologischen Anbau weiter unterstützen wird. Darunter die smarte junge Frau, die die Führung in fließendem Englisch macht und in Bordeaux Weintourismus studiert hat.

Stolz berichtet sie, dass in Handarbeit geerntet werde, vor allem Cabernet Sauvignon. Im modernen Keller zeigt sie die hohen Edelstahltanks, dann schreitet sie zur Weinprobe. Ich bin keine Expertin, doch für mich schmecken die kredenzten Rotweine hervorragend: Weich und vollmundig, dabei elegant und beschwingt. Eine Flasche kostet um die 50 Euro, so dass ich auf einen Einkauf hier leider verzichten muss.

Viele kleiner Weingüter machen auch bei France Passion mit und beherbergen Camper für eine Nacht. So auch Chateau Tour Castillon, das unmittelbar am Ufer der Gironde liegt.

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Es ist Erntezeit, die Winzerfamilie bekomme ich nicht zu Gesicht. Doch sie bieten einen so herrlichen Stellplatz neben der Ruine des namensgebenden Turmes am Flussufer, das ich gleich zwei Nächte bleibe.

Im Chateau du Moulin Rouge in Cussac-Fort-Medoc wird noch konventionell angebaut, Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Sie würde gerne auf Bio umstellen, erzählt mir die charmante Senior-Chefin Madame Pelon-Ribeiro. Doch das könne sie sich nicht leisten: Sie fürchtet die Ernteausfälle wegen Mehltaus. Ihr Weingut sei ein Familienbetrieb in 13. Generation, ohne millionenschwere Rücklagen: Ein, zwei Missernten und die Familie sei ruiniert.

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Die Familie Pelon-Ribeiro hat viele Medaillen für ihren Cru Bourgeois gesammelt

Wir machen hier gute, ausdrucksvolle Weine, aber keine Kunst sagt Madame. Die Familie produziert den sogenannten Cru Bourgeois Haut-Médoc, ein „bürgerliches Gewächs“ im Vergleich zum „Adel“ der Grand Cru Classés. Ihre Flaschen kosten zwischen zehn und 20 Euro. Die großen Grand Cru Chateaux gleich nebenan – das sei eine andere Welt, meint Madame Pelon. Als ich ihr erzähle, dass ich morgen einen Termin im berühmten Chateau Pontet-Canet habe, winkt sie ab: Die spielten in einer ganz anderen Liga. Zum Dank für die Übernachtung hier via France Passion kaufe ich eine Flasche: Der Rotwein schmeckt kräuterig kräftig, ebenso erdverbunden und bodenständig und seine Winzerin.

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Pontet-Canet liegt in direkter Nachbarschaft zum Chateau Mouton Rothschild. Die Zufahrt führt durch einen Park, hinter einem Tor öffnet sich das Weingut mit Haupt- und mehreren Nebengebäuden. Eines wird gerade aufwändig saniert. Und nicht nur die ehrwürdigen Gemäuer: Pontet-Canet, eines der größten Chateaux im Médoc, ist ein Pionier des bio-dynamischen Anbaus. Als erstes der Spitzen-Weingüter hat es im Jahr 2005 die Produktion umgestellt. Andere Große der Branche folgten später, wie Chateau Palmer im Anbaugebiet Margaux.

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Ich möchte wissen, ob es gelingt, die Grand Cru-Qualität zu halten. Im Gegenteil, schreiben Kritiker: Die Weine seien in den vergangenen Jahren immer besser geworden. Für die Jahrgänge 2009 und 2010 gab es denn auch 100 Parker-Punkte, Bestnote, eigentlich unerreichbar, eine Legende war geboren. Das Weingut entspräche heute nicht wie 1855 befunden einem fünft-, sondern einem zweit-klassifizierten Gewächs, in bestimmten Jahrgängen  erreiche es auch die Qualität eines 1er Grand Cru, befinden Fachleute. Doch es war ein harter Weg: 2018 zum Beispiel war ein Horror-Jahr: Mehltaubefall verursachte Ernteeinbußen von zwei Dritteln.

Davon waren vor allem biodynamisch arbeitende Betriebe betroffen, erinnert sich der technische Direktor Matthieu Bessonnet mit Grausen. Er führt mich durch das Chateau und zu den Reben, die in besonderer Rundform gebunden werden, und erzählt: Dass die 80 Hektar Weinberge in mehreren Lesedurchgängen von Hand geerntet, alle schweren Arbeiten mit Pferden erledigt werden, um die mit Mikroorganismen angereicherten Böden zu schonen. Alles sehr aufwändig.

Entsprechend teuer sind die edlen Weine: Etwa 100 bis 200 Euro pro Flasche, je nach Jahrgang. Ein winziges, tief dunkelrotes Schlückchen darf ich kosten: Ein herrlicher Duft nach Brombeere entsteigt dem Glas, als ob Engel auf der Zunge tanzen, so lebendig ist der Geschmack, voller Finesse und Eleganz. „Ich liebe meinen Job“, meint Matthieu Bessonnet. „Er ist der interessanteste, den es zur Zeit im ganzen Bordelais gibt.“

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